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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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einer anderen Person zu tun.«
    Ein unangenehmes Schweigen entstand. Norienko musterte das
ausdruckslose Gesicht seines Gegenübers, um zu ergründen, ob der ihn für verrückt
hielt. Doch zum Glück durchbrach er die Stille.
    »Vorher haben Sie nie bemerkt, dass …«
    »Wir hatten keine Fotos von Dima aus der Zeit, bevor er ins Zentrum
kam«, sagte der Psychologe und hob hilflos die Hände. »Die Einwohner Prypjats
mussten ihre Häuser überstürzt verlassen und konnten nur das Nötigste
mitnehmen. Das Kind kam mit nichts zu uns, besaß nur die Kleider, die es am
Leib trug.«
    »Und dann?«
    Norienko stieß eine dichte Rauchwolke aus. »Es gab nur eine
Erklärung: Dieses wie aus dem Nichts gekommene Kind hatte den Platz des echten
Dima eingenommen. Aber nicht nur das …«
    Die Augen des Jägers begannen zu leuchten, und auch in denen
Norienkos blitzte etwas auf. Der Jäger hätte wetten können, dass es Angst war.
    »Diese beiden Kinder hatten nicht nur eine entfernte Ähnlichkeit«,
erklärte der Psychologe. »Der echte Dima war kurzsichtig, der andere auch.
Beide litten an einer Milchallergie. Oleg sagte uns, dass sein Neffe seit einer
unbehandelten Mittelohrentzündung auf dem rechten Ohr nur noch schlecht höre.
Wir unterzogen unser Kind Hörtests, ohne ihm vorher etwas von diesem Detail zu
erzählen. Es hatte den gleichen Hörfehler.«
    »Vielleicht hat es Ihnen nur etwas vorgespielt. Schließlich beruhen
Hörtests auf Angaben des Patienten. Vielleicht wusste Ihr Dima Bescheid.«
    »Vielleicht …« Norienko verstummte verlegen. »Einen Monat nach
unserer Entdeckung verschwand der Junge.«
    »Ist er weggelaufen?«
    »Ich würde eher sagen, er … hat sich in Luft aufgelöst.« Das Gesicht
des Psychologen verdüsterte sich. »Wir haben wochenlang nach ihm gesucht, ja,
sogar die Polizei eingeschaltet.«
    »Und was ist mit dem echten Dima?«
    »Von ihm fehlt jede Spur, genau wie von seinen Eltern: Dass sie tot
sind, wussten wir nur von unserem Dima. Bei dem Chaos, das damals herrschte,
konnten wir seine Angaben unmöglich überprüfen: Alles, was Tschernobyl betraf,
wurde geheim gehalten, selbst die banalsten Informationen.«
    »Bald darauf haben Sie diesen Artikel geschrieben.«
    »Aber niemand hat mir geglaubt.« Norienko schüttelte verbittert den
Kopf und wandte den Blick ab, so als schäme er sich. Doch dann schlug er einen
anderen Ton an, sah dem Jäger direkt in die Augen und sagte: »Glauben Sie mir,
dieses Kind hat sich nicht nur für einen anderen Jungen ausgegeben: In diesem
Alter ist das Gehirn noch gar nicht in der Lage, sich so detaillierte Lügen
auszudenken. Nein, aus seiner Sicht war er tatsächlich Dima.«
    »Und als der Junge verschwand, hat er da irgendetwas mitgenommen?«
    »Nein, aber er hat etwas hiergelassen …«
    Norienko beugte sich vor, um eine Schreibtischschublade aufzuziehen.
Er wühlte darin, zog ein kleines Stofftier daraus hervor und legte es vor
seinem Besucher auf den Tisch.
    Es war ein Kaninchen.
    Ein hellblaues, schmuddeliges, verschlissenes Kaninchen. Jemand
hatte das Stummelschwänzchen geflickt, und ihm fehlte ein Auge. Es lächelte –
selig und gleichzeitig unheimlich.
    Der Jäger sah es sich an. »Das scheint mir kein sehr überzeugendes
Indiz zu sein.«
    »Das sehe ich auch so, Dr. Foster«, gab Norienko zu. Doch in seinen
Augen war zu lesen, dass er noch etwas in petto hatte: »Aber Sie ahnen ja
nicht, wo wir es gefunden haben.«
    Nachdem sie bei Einbruch der Dämmerung ein Stück durch den
Park gegangen waren, betrat Norienko vor seinem Kollegen ein anderes Gebäude
des Zentrums.
    »Hier war einmal der große Schlafsaal.«
    Sie gingen nicht ins Obergeschoss, sondern in den Keller. Norienko
betätigte eine Reihe von Schaltern: Neonröhren erhellten einen riesigen Raum.
Die Wände waren dunkel und feucht, und an der Decke verliefen alle möglichen Leitungen.
Viele davon waren defekt und nur notdürftig repariert.
    »Kurz nach Verschwinden des Kindes hat eine Reinigungskraft eine
interessante Entdeckung gemacht.« Er verriet nicht, um was es sich handelte, so
als wolle er sich nachher umso mehr am Erstaunen des jungen Kollegen weiden.
»Ich wollte, dass dieser Ort genauso bleibt, wie wir ihn vorgefunden haben.
Fragen Sie mich nicht, warum. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es könnte uns
eines Tages weiterhelfen. Außerdem kommt so gut wie niemand hierher.«
    Sie liefen durch einen hohen, schmalen Flur, von dem mehrere
Stahltüren abgingen. Dahinter dröhnten

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