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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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lassen. Die Bäume bogen sich im Wind,
und ihr Blätterrauschen klang wie ein Lachen.
    Vier Opfer in sechs Jahren!, dachte Sandra. Alle wiesen einen
sauberen Schnitt am Kehlkopf auf. Wie ein Lächeln, das ihnen mit dem Messer in
den Hals geritzt worden war.
    Monicas Schwester hieß Teresa. Sie war einundzwanzig und ging gern Rollschuh
laufen. Sie verschwand an einem ganz normalen Sonntagnachmittag. In Wahrheit
war das Rollschuhlaufen nur ein Vorwand: Sie war in einen Jungen verliebt und
wollte sich mit ihm treffen. Teresa hatte an der Rollschuhbahn auf ihn
gewartet, doch an jenem Tag war er nicht gekommen. Vielleicht hatte Jeremiah
sie ausgewählt, als sie allein am Tisch des Getränkekiosks saß. Er hatte sie
unter einem Vorwand angesprochen und auf ein Getränk eingeladen. Die
Spurensicherung hatte in einem Glas Orangenlimonade Rückstände von
K.-o.-Tropfen gefunden. Einen Monat später hatte Jeremiah sie wieder freigegeben
und Teresas Leiche am Fluss abgelegt. Sie trug dieselben Kleider wie am Tag
ihres Verschwindens.
    Alle Kellner des Fast-Food-Lokals konnten sich noch an das hellblaue
Samtband erinnern, mit dem Melania, dreiundzwanzig, ihr hellblondes Haar
zusammenband. Die Kellnerinnenuniform war wenig elegant, doch sie legte Wert
auf ihr Äußeres. Sie peppte sie mit diesem Accessoire aus den Fifties auf. An
dem Nachmittag, an dem sie entführt wurde, war sie gerade auf dem Weg zur
Arbeit gewesen. An einer Bushaltestelle wurde sie das letzte Mal gesehen. Dreißig
Tage später tauchte ihre Leiche auf einem Parkplatz auf. Sie war bekleidet,
aber das Haarband war verschwunden.
    Die siebzehnjährige Vanessa war fitnesssüchtig und ging jeden Tag
zum Spinning. Sie ließ keine Stunde ausfallen, nicht einmal, wenn sie sich
krank fühlte. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war sie erkältet. Ihre Mutter
hatte sie noch gebeten, die Stunde ausnahmsweise mal ausfallen zu lassen. Als
sie merkte, dass es zwecklos war, hatte sie ihr wenigstens einen schützenden
Wollschal mitgegeben. In diesem Fall war das Narkosemittel einem Mineraldrink
beigemischt gewesen.
    Cristina hasste ihr Korallenarmband, aber das wusste nur ihre
Schwester. Sie war es auch gewesen, die sein Fehlen bemerkt hatte, als sie
Cristina in der Leichenschauhalle identifizierte. Ihr Freund hatte es ihr
geschenkt, deshalb trug Cristina es trotzdem. Sie waren beide achtundzwanzig
und wollten heiraten. Vielleicht war sie deshalb ein bisschen angespannt. Wegen
der anstrengenden Hochzeitsvorbereitungen hatte sie nach einer effektiven
Entspannungsmethode gesucht und sie im Alkohol gefunden. Sie begann schon
morgens zu trinken und machte bis abends damit weiter, allerdings ohne sich
richtig zu besaufen. Niemand hatte bemerkt, dass das allmählich zu einem
Problem wurde. Niemand außer Jeremiah Smith. Er hatte ihr nur in die Bar folgen
müssen, um zu sehen, dass sie eine besonders leichte Beute war.
    Cristina war das letzte Opfer des Serienmörders gewesen.
    Sämtliche Opferprofile waren anhand von Aussagen von Freunden und
Verwandten der Mädchen erstellt worden. Sie hatten private Details
beigesteuert, die die nüchternen Fakten ergänzten. Damit die Mädchen so wahrgenommen
wurden, wie sie wirklich waren.
    Nämlich als Menschen und nicht als Gegenstände!, dachte Sandra. Denn
jetzt waren Gegenstände an ihre Stelle getreten: ein Haarband, ein
Korallenarmband, ein Schal und ein Rollschuh. Eines blieb Sandra rätselhaft,
als sie die Profile durchlas: Die vier Mädchen waren eigentlich gut gewappnet
gewesen. Sie hatten Familie, Freunde, Vorbilder, waren nicht vollkommen naiv.
Und trotzdem hatten sie sich von einem so unscheinbaren Mann wie Jeremiah Smith
ansprechen lassen. Von einem nicht sehr attraktiven Fünfzigjährigen, der es
geschafft hatte, sie auf ein Getränk einzuladen und anschließend zu
überwältigen. Warum hatten sie sich mit ihm abgegeben? Smith war am helllichten
Tag in Aktion getreten und hatte ihr Vertrauen gewonnen. Wie hatte er das
angestellt?
    Eine Frage, die ihr die Fetischgegenstände auch nicht beantworten
konnten. Sandra klappte die Aktenmappe zu, hob den Kopf und ließ sich von der
leichten Brise liebkosen. Auch in ihrem Leben gab es einen solchen Gegenstand:
eine grauenhafte smaragdgrüne Krawatte, die sie an David denken ließ.
    Bei dem Gedanken daran musste sie lächeln. Diese Krawatte war sogar
noch hässlicher als die des Commissario. David hatte nie elegante Anzüge
getragen, er fand das affig.
    »Du solltest dir einen Frack

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