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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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anschaffen!«, hatte sie gern gestichelt.
»Stepptänzer tragen so was, Fred.« Jedenfalls besaß er nur diese eine Krawatte.
Als die Bestatter von ihr wissen wollten, in welcher Garderobe er beerdigt
werden sollte, war sie aus allen Wolken gefallen. Nie hätte sie sich träumen
lassen, mit neunundzwanzig so eine Entscheidung fällen zu müssen. Sie musste
etwas heraussuchen, das typisch für David war. Verzweifelt wühlte sie in seinen
Sachen und entschied sich schließlich für eine Safarijacke, ein blaues Hemd,
eine khakifarbene Hose und Turnschuhe. Denn so hatten ihn alle in Erinnerung.
Erst da fiel ihr auf, dass die smaragdgrüne Krawatte verschwunden war. Sie
konnte sie nirgendwo entdecken und stellte die ganze Wohnung auf den Kopf. Sie
musste sie unbedingt finden. Gut möglich, dass sie verrückt geworden war, aber
sie hatte schon David verloren. Einen weiteren Verlust konnte sie einfach nicht
verkraften, und sei es nur der einer grauenhaften smaragdgrünen Krawatte.
    Eines Tages fiel ihr wieder ein, wo sie steckte. Ganz plötzlich, als
sie schon gar nicht mehr daran gedacht hatte. Wie hatte sie das nur vergessen
können!
    Die Krawatte war der einzige Beweis für das eine Mal, dass sie ihren
Mann belogen hatte.
    Unweit der Villa von Jeremiah Smith überkam Sandra plötzlich das
Gefühl, die warme Sonne gar nicht verdient zu haben. Sie schlug die Augen auf
und spürte den Blick eines steinernen Engels. Mit seiner stummen Reglosigkeit
erinnerte er sie daran, dass sie etwas zu beichten hatte. Und dass wir nicht
immer die Gelegenheit haben, unsere Fehler wiedergutzumachen.
    Was, wenn der Schütze in der Kapelle des heiligen Raimund von
Peñafort sie tatsächlich getötet hätte? Dann wäre sie mit dieser schweren
Gewissenslast gestorben. Anhand von welchem Gegenstand hätten sich Freunde und
Verwandte wohl an sie erinnert? Doch egal, welcher es auch war, er hätte nicht
die Wahrheit über sie erzählt. Nämlich die, dass sie Davids Liebe gar nicht
verdiente, weil sie ihn betrogen hatte.
    Die Mädchen, die Jeremiah entführt hat, haben sich sicher gefühlt,
dachte Sandra. Genau wie ich, als ich diese Kirche betreten habe. Und deshalb
sind sie gestorben. Er konnte sie töten, weil sie so voller Lebenslust waren.
Denn die hat verhindert, dass sie sahen, was sie erwartete.
    Hinter dem Engel entdeckte Sandra die Kollegen von der Hundestaffel,
die mit ihren Tieren gerade ein Stück Garten absuchten. Aber es war genau so,
wie Camusso gesagt hatte: Die Tiere wirkten unkonzentriert, weil sie von so
vielen Gerüchen überwältigt wurden. Der Commissario hatte behauptet, dass es
sich um eine reine Routineuntersuchung handele: »Vielleicht finden sie ja
irgendetwas«, so seine Worte. Doch inzwischen hatte Sandra ein Gespür dafür,
wenn ein Kollege versuchte, sie abzulenken. Die Hundestaffel einzusetzen, war
eine Vorsichtsmaßnahme, zu der die Polizei griff, wenn sie fürchtete, einen
Fehler zu machen. Um sich gegen spätere Vorwürfe zu schützen.
    Ausgerechnet in diesem Moment tauchte der Commissario hinter ihr
auf. »Alles in Ordnung?«, fragte er. »Ich habe gesehen, wie Sie aus der Villa
gerannt sind, und da dachte ich …«
    »Ich musste dringend an die frische Luft«, fiel ihm Sandra ins Wort.
    »Haben Sie etwas Interessantes entdeckt? Sie wollen schließlich
nicht mit leeren Händen zu Ihrem Vorgesetzten zurückkehren.«
    Der Kollege wollte bestimmt bloß höflich sein, doch Sandra nutzte
die Gelegenheit: »Mir ist tatsächlich etwas aufgefallen, das ich seltsam finde.
Vielleicht können Sie mir da weiterhelfen …«
    Der Commissario musterte sie verblüfft. »Worum geht es!«
    Sandra fiel die Besorgnis in seinem Blick auf. Sie öffnete die Mappe
und zeigte auf die vier Opferprofile. »Mir ist aufgefallen, dass der Mörder
ungefähr alle anderthalb Jahre zugeschlagen hat. Wenn man bedenkt, dass diese
Zeit bei seiner Entdeckung fast abgelaufen war, und weiß, dass er die Mädchen
nicht hier gefangen gehalten hat, könnte er doch bereits erneut zugeschlagen
haben.« Sie wurde ernst: »Wie Sie sicherlich wissen, spielen solche Zeitspannen
eine wichtige Rolle für Serienmörder. Geht man von den drei Phasen Genese,
Vorbereitung und Ausführung aus, würde ich sagen, dass sich Jeremiah in der
letzten Phase befunden hat, als er den Herzinfarkt erlitt.«
    Der Commissario war sprachlos.
    »Deshalb frage ich mich, ob nicht vielleicht irgendwo eine Gefangene
darauf wartet, gerettet zu werden.«
    Sie schwieg und sah, wie

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