Der Seelensammler
dass hier jemand seinen Plan vollenden würde. Jemand,
der ein Interesse daran hatte, die Spritze verschwinden zu lassen.
Er hat es hier getan, weil er wusste, dass er beobachtet wurde.
Marcus sprang auf und suchte das Zimmer ab. Wo konnten sie sie
versteckt haben? In der Elektrik!, lautete die Antwort.
Er ging zum Lichtschalter an der Wand und sah, dass sich daneben ein
kleines Loch befand. Also nahm er den Brieföffner vom Schreibtisch, um den
Schalter zu entfernen. Erst lockerte er die Schrauben, dann riss er ihn regelrecht
von der Wand.
Ein Blick genügte, und schon hatte er das Kabel einer Sendestation
entdeckt, das mit den elektrischen Leitungen zusammengewickelt war.
Wer auch immer die Mikrokamera installiert hatte, verstand etwas von
seinem Job.
Aber wenn jemand die Arztpraxis zum Zeitpunkt von Canestraris
Selbstmord beobachtet hatte, warum war das Gerät dann drei Jahre später noch
da? Marcus begriff, dass er in großer Gefahr schwebte. Seine Anwesenheit war bestimmt
längst bemerkt worden.
Sie haben mich gewähren lassen, bis sie wussten, wer ich bin. Aber
jetzt werden sie gleich hier sein.
Er musste sofort verschwinden und wollte schon zum Ausgang rennen,
als er ein Geräusch aus dem Flur hörte. Vorsichtig spähte er über die Schwelle
und sah einen grobschlächtigen Kerl in Anzug und Krawatte, der vor lauter Kraft
kaum laufen konnte. Marcus zog sich unbemerkt zurück. Sein einziger Fluchtweg
wurde ihm von diesem Schrank von einem Menschen versperrt.
Er sah sich um, wobei sein Blick auf die Schiebetür zum Untersuchungsraum
fiel. Vielleicht konnte er sich darin verstecken. War der Mann erst im
Sprechzimmer, hatte er die Möglichkeit, ihm zu entwischen. Er war der
Beweglichere, er musste nur schnell genug sein.
Der Mann erreichte die Schwelle, blieb stehen und suchte nach dem
Eindringling. Sein Kopf drehte sich langsam auf dem dicken Hals. Zwei winzige
Augen erkundeten das Halbdunkel, ohne etwas zu erkennen. Dann bemerkte er die
Schiebetür zum Nebenraum. Er ging darauf zu und steckte zwei dicke Finger in
den Spalt. Mit einem Ruck zog er sie auf und drang in den Untersuchungsraum
ein. Zu spät bemerkte er, dass er leer war: Hinter ihm schloss sich rasch die
Tür.
Marcus war froh, dass er seinen Plan in letzter Minute geändert
hatte. Er hatte sich unter Canestraris Schreibtisch versteckt, und als der Mann
in die Falle gegangen war, war er darunter hervorgesprungen, um ihn
einzusperren. Die Schiebetür wackelte, weil von innen dagegengetreten wurde.
Marcus ließ den Griff los und rannte davon. Schon im Flur hörte er die Schritte
des brutalen Kerls hinter sich. Marcus schaffte es hinaus auf den Treppenabsatz
und knallte die Praxistür hinter sich zu, um seinen Verfolger aufzuhalten. Doch
viel nutzte ihm das nicht. Er floh die Treppe hinunter, als ihm einfiel, dass
der Mann vielleicht einen Komplizen hatte, der den Eingang im Auge behielt. Als
er einen Notausgang entdeckte, beschloss er, ihn zu benutzen. Die Treppe war
extrem schmal und die Stufen kurz: Er musste mehrere auf einmal nehmen, um
seinen Vorsprung nicht zu verlieren. Doch der Kerl war schneller als gedacht
und hatte ihn fast eingeholt. Die drei Stockwerke, die sie noch vom Erdgeschoss
trennten, kamen ihm endlos vor. Hinter der letzten Tür lag seine Rettung. Doch
als er sie aufriss, fand er sich nicht auf der Straße, sondern in einer Parkgarage
wieder. Am Ende des riesigen Raums sah er einen Aufzug, dessen Türen sich
gerade öffneten. Aber anstatt ihm eine neue Fluchtmöglichkeit zu bieten, gaben
sie einen zweiten Mann in Anzug und Krawatte frei, der ihn erkannte und auf ihn
zurannte. Zwei Verfolger konnte er unmöglich abschütteln. Er war jetzt schon
außer Atem und wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Er lief die
Rampe für die Fahrzeuge hinauf und wurde beinahe von einem ihm entgegenkommenden
Auto erfasst, dessen Fahrer laut hupte. Als Marcus das Erdgeschoss erreichte,
hatten seine Verfolger ihn fast eingeholt. Doch plötzlich blieben sie stehen.
Vor ihnen befand sich ein menschlicher Schutzschild aus chinesischen
Touristen.
Marcus hatte sie benutzt, um unbemerkt zu verschwinden. Von einer
dunklen Ecke aus sah er seinen Verfolgern die Enttäuschung an. Sie beugten sich
vor und rangen mühsam nach Luft.
Wer waren die beiden? Wer hatte sie geschickt? Und was hatte
derjenige mit Alberto Canestraris Tod zu tun?
11 Uhr
Sandra stellte sich den Wachtposten am Tor der Villa von
Jeremiah Smith vor – den
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