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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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Obergeschoss sehen konnte. Vor ihm lag eine sich gabelnde Treppe.
    Marcus begann seinen Rundgang im Obergeschoss. Hier sah es aus wie
in einem Hotel: Einzelzimmer mit allem Komfort. Was von der Einrichtung noch
übrig war, war luxuriös. Canestraris Klinik musste äußerst rentabel gewesen
sein. Er lief durch drei Operationssäle. Vor allem hier hatte das Feuer gewütet
und bis auf ein paar chirurgische Instrumente und andere Metallgegenstände
alles zum Schmelzen gebracht. Das Erdgeschoss war in einem ähnlichen Zustand.
Die Flammen hatten von einem Raum auf den nächsten übergegriffen; ihre
flüchtigen Schatten waren an den Wänden zu erkennen.
    Zum Zeitpunkt des Brandes hatte die Klinik leer gestanden: Mit
Canestrari waren auch die Patienten verschwunden. Denn was sie hierhergetrieben
hatte, waren Hoffnung und der feste Glaube an die Fähigkeiten des Chirurgen.
    Je mehr Marcus darüber nachdachte, desto überzeugender erschien ihm
der Gedanke, dass die Klinik nach dem Selbstmord des Arztes zerstört worden
war, weil jemand befürchtete, sie könnte etwas Kompromittierendes enthalten.
Von demjenigen, der auch die Mikrokameras in Canestraris Praxis installiert und
die beiden Gorillas auf ihn angesetzt hatte. Sie hatten nicht ausgesehen wie
gewöhnliche Kriminelle, sondern elegante dunkle Anzüge getragen, also musste es
sich um Profis handeln.
    Marcus hoffte, dass das Feuer etwas Entscheidendes verschont hatte.
Im Grunde ging er fest davon aus, denn ansonsten hätte sich der andere
Pönitenziar nicht weiter mit dem Fall beschäftigt.
    Wenn er auf die Wahrheit gestoßen ist, werde auch ich sie finden!
    Im Keller stand Marcus vor einem Raum, in dem laut Türschild die
Klinikabfälle gelagert wurden, bis die Entsorgungsunternehmen kamen, um sie
abzuholen. Er trat ein und fand sich zwischen den Containern wieder, von denen
das Feuer die meisten zum Schmelzen gebracht hatte. Der Boden bestand aus
kleinen blauen Majolikafliesen. Wegen der Hitzeentwicklung war die Glasur bei
vielen abgeplatzt. Andere waren vollkommen schwarz geworden.
    Nur eine nicht.
    Marcus kniete sich hin, um sie näher zu betrachten. Sie sah aus, als
hätte sie jemand entfernt, gereinigt und wieder an ihre ursprüngliche Position
in der Zimmerecke zurückgelegt. Er merkte, dass sie nicht festgeklebt war, und
hob sie an.
    Die Fliese verdeckte eine tiefe Nische, die jenseits der Wand
weiterging. Er tastete darin herum und zog schließlich eine Metallkassette mit
einer Längsseite von etwa dreißig Zentimetern hervor.
    Sie war unverschlossen. Marcus klappte den Deckel auf. Er begriff
nicht gleich, was er da vor sich hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihm
dämmerte, dass das längliche weißliche Ding darin ein Knochen war.
    Er nahm ihn heraus und betrachtete ihn, befühlte ihn mit beiden
Händen. Seiner Form und Größe nach handelte es sich um einen menschlichen
Oberarmknochen. Aus irgendeinem Grund schien dieses Wissen in ihm vorhanden zu
sein, auch wenn er nicht sagen konnte, aus welcher Vergangenheit es stammte.
Doch er achtete nicht weiter darauf, weil ihm bewusst wurde, dass er noch etwas
über diesen Knochen wusste.
    An den Kalkablagerungen konnte man erkennen, dass das Opfer die
Pubertät noch nicht erreicht hatte.
    Hatte Alberto Canestrari das Leben eines Kindes auf dem Gewissen?
Marcus war so betroffen, dass ihm die Luft wegblieb und seine Hände zitterten.
Er merkte, dass er an seine Grenzen kam. Egal, auf welche Probe ihn Gott
stellen wollte – das war eindeutig zu viel. Er wollte sich gerade bekreuzigen,
als ihm ein Detail auffiel.
    Mit einem spitzen Gegenstand war ein winziger Schriftzug in den
Knochen geritzt worden, ein Name: Astor Goyash.
    »Tut mir leid, aber der gehört mir.«
    Marcus drehte sich um und sah die Pistole in der Hand des Mannes. Er
erkannte ihn wieder: Es war der Gorilla in Anzug und Krawatte, der wenige
Stunden zuvor versucht hatte, ihn in Canestraris Praxis zu überwältigen.
    Damit hatte Marcus nicht gerechnet. Und die Tatsache, dass die
nächsten bewohnten Häuser kilometerweit entfernt waren und er sich in einem
verlassenen Gebäude mitten im Wald befand, machte die Situation auch nicht
besser. Er würde hier sterben, da war er sich sicher.
    Aber er wollte nicht schon wieder sterben.
    Irgendwie fühlte sich die Szene vertraut an: Er hatte schon einmal
Angst vor einer Pistole empfunden. Und zwar in dem Hotelzimmer in Prag, an dem
Tag, an dem Devok ermordet wurde. Die Angst weckte Erinnerungen, und plötzlich
wusste

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