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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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Deshalb distanzierte sie sich
innerlich von ihr.
    Sie würde die Wohnung fotografisch dokumentieren.
    Schade, dass sie ihre Canon-Reflex nicht dabeihatte. Wieder einmal
würde sie sich mit dem Handy begnügen müssen. Ich sehe, was mein Objektiv
sieht.
    Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, die Fotos aus der Kapelle des
heiligen Raimund von Peñafort zu löschen, um wieder Platz auf ihrer
Handyspeicherkarte zu schaffen. Im Grunde brachte es nichts, sie zu behalten,
da der Ort in keinem Zusammenhang zu dem Fall stand. Aber dann hatte sie es
sich anders überlegt: Sie waren eine mahnende Erinnerung an den Tag, an dem sie
dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen war. Sie würde diese
Erfahrung hüten wie einen Schatz, um nicht wieder in eine Falle zu tappen.
    Kaum hatte sie die Wohnung in der Via dei Coronari betreten, schlug
ihr ein abgestandener, modriger Geruch entgegen. Hier musste dringend mal
gelüftet werden. Sie hatte keinen Schlüssel gebraucht, um sich Zutritt zu
verschaffen, denn nachdem die Angehörigen des Mädchens eine Vermisstenanzeige
aufgegeben hatten, war die Tür von der Polizei aufgebrochen worden. Etwas
Auffälliges hatten die Beamten an Laras letztem Aufenthaltsort nicht entdecken
können. Dass sie in der Wohnung gewesen war, bezeugten zumindest ihre Freunde,
die sie am Abend ihres Verschwindens nach Hause gebracht hatten. Und aus dem
Einzelverbindungsnachweis ihres Telefonanschlusses ging hervor, dass die
Studentin von hier aus zwei Anrufe getätigt hatte, und zwar kurz vor
dreiundzwanzig Uhr.
    Sandra prägte sich dieses Detail gut ein: Wenn Lara entführt worden
war, dann erst danach, also bei Dunkelheit. Und das widersprach Jeremiah Smiths
Vorgehensweise, der stets tagsüber zugeschlagen hatte. In Laras Fall hat er
seine Taktik geändert!, dachte sie. Und dafür muss er einen guten Grund gehabt
haben.
    Sandra stellte ihre Tasche ab und griff zu ihrem Handy. Sie
aktivierte die Fotofunktion und begann zu knipsen. Dabei hielt sie sich strikt
ans Polizeihandbuch und nannte zuallererst ihre Personalien, so als hätte sie
ihr Aufnahmegerät samt Headset dabei. Dann folgten das Datum und die Adresse,
an der sie sich befand. Und während sie ihre Umgebung dokumentierte, beschrieb
sie in allen Einzelheiten, was sie sah.
    »Die Wohnung erstreckt sich über zwei Etagen. Im Erdgeschoss
befindet sich das Wohnzimmer mit Küchenzeile. Die Einrichtung ist schlicht,
aber angemessen. Eine typische Studentenwohnung – mit dem einzigen Unterschied,
dass diese hier auffallend ordentlich ist.« Ein bisschen zu ordentlich vielleicht.
    Sie machte mehrere Fotos von ihrer Umgebung. Als sie sich umdrehte,
um die Eingangstür aufzunehmen, entdeckte sie etwas, das sie erstarren ließ.
    »Es gibt zwei Verriegelungsmöglichkeiten: Eine besteht aus einer
Kette, die nur von innen vorgelegt und wieder entfernt werden kann. Beim
Aufbrechen der Tür ist auch sie zerstört worden.«
    Hatten die Kollegen sie nicht bemerkt? Aber Lara war aus dieser
Wohnung entführt worden. Das ergab keinen Sinn.
    Sandra konnte es kaum erwarten, das Rätsel zu lösen, durfte sich
aber jetzt nicht ablenken lassen. Sie prägte sich die Unstimmigkeit ein und
machte anschließend mit dem Obergeschoss weiter.
    Die zweite Lektion, die Sandra Vega gelernt hatte, war, dass auch
Häuser starben, genau wie Menschen.
    Aber Lara war nicht gestorben, versuchte sie, sich selbst einzureden.
    Eines fiel Sandra sofort auf: Wenn die Studentin im Schlaf von
Jeremiah überrascht und entführt worden war, hatte er sich die Zeit genommen,
das Bett zu machen und einen Rucksack mit Kleidung sowie ihr Handy mitzunehmen.
Es sollte also so aussehen, als wäre Lara freiwillig untergetaucht. Dem
widersprach nur die von innen vorgelegte Türkette. Offenbar hatte Jeremiah ausreichend
Zeit gehabt, seine Spuren zu verwischen. Aber wie war er herein- und wieder
herausgekommen, wenn die Tür von innen verschlossen gewesen war?
    Sie dokumentierte rasch hintereinander den Teddy zwischen den
Kissen, die Kommode mit dem Foto der Eltern, den Schreibtisch mit der
unfertigen Zeichnung von einer Brücke und die Architekturbände im Regal.
    Das Zimmer wies eine auffällige Symmetrie auf. Das ist
wahrscheinlich typisch für Architekten, dachte Sandra. Ich weiß, dass du etwas
vor mir versteckst, Mädchen. Wenn dieses Monster dich ausgesucht hat, dann weil
es dich kannte. Verrate mir, welche Spur du für mich zurückgelassen hast, damit
ich euch finden kann!
    Während Sandra sich ein

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