Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
Vom Netzwerk:
früher. Seit in Albershude das neue Hotel aufgemacht hat, mit Schwimmbad und Gedöns und neue deutsche Küche und dem ganzen Schiet ...» Er seufzte und erzählte dann ausführlich, wo ihn der Schuh drückte. Jon war für die meisten seiner Patienten mehr als ein Arzt. Er war einer der Ihren. Aber eben einer der Ihren, der es zu etwas gebracht hatte. Der helfen konnte. Der zuhörte. Jon: das war der Heiler und der Seelendoktor, ein Kind des Dorfes, der Weise aus der Großstadt, Respektsperson und Freund. Stets nahm er sich Zeit für seine Patienten. Sie hatten immer Vorrang. Tag und Nacht war er für sie erreichbar, selbst an Tagen, an denen seine Praxis geschlossen hatte, öffnete er sie, wenn jemand in Not war und ihn brauchte.
    Am Abend dieses Tages kam er erschöpft um halb acht nach oben in seine Wohnung. Hellen hatte einen Salat vorbereitet und war damit beschäftigt, Philip zu Bett zu bringen.
    «Liest du mir noch was vor?» rief sein Sohn, der mit Schlafanzughose und nacktem Oberkörper auf seinen Vater zugeflitzt kam, als er ihn sah.
    Hellen kam aus dem Badezimmer hinter ihm her: «Du bist zehn Jahre alt, Philip ...» Sie packte ihren zappelnden Sohn an den Schultern und schob ihn in Richtung Kinderzimmer, «und du kannst inzwischen selbst lesen. Sehr gut sogar.»
    «Aber ich hab's lieber, wenn Papa ...»
    «Ich mach schon», erklärte Jon liebevoll und streckte sich. «Ich hole mir in der Küche was zu trinken, du putzt dir die Zähne, Mami bringt dich zu Bett, und dann lese ich dir noch was vor.»
    Beglückt zog sein Sohn ab, Hellen warf ihrem Mann über die Schulter einen liebevollen Blick zu. Während sie Philip für die Nacht fertigmachte, überwachte, daß er sich wusch, seinen Schulranzen für den nächsten Morgen packte und – das hatte Jon von seinem Vater übernommen und verlangte es von seinem Sohn – die Sachen, die er am nächsten Tag anziehen wollte, auf einem Stuhl bereitlegte, dachte sie darüber nach, daß Jon noch immer ihre große Liebe war, der Mann ihres Lebens.
    Wenn sie sich erinnerte, hatte es in all den Jahren, die sie sich nun schon kannten und verheiratet waren, nie einen Tag gegeben, an dem sie bereut hätte, sich für ihn, für eine Ehe mit ihm, ein Leben an seiner Seite entschieden zu haben. Nie hatte es einen großen, einen grundsätzlichen Streit zwischen ihnen gegeben. Sie waren völlig verschieden, sie waren des öfteren unterschiedlicher Meinung, aber immer hatte es dann ein Gespräch gegeben, keinen Kampf, und am Ende eine Einigung. Jon war tolerant, er war verständnisvoll, er war klug und er war gelassen. Sie kannte niemanden, der ihn nicht mochte, selbst ihre Eltern, die sehr eigen sein konnten, schätzten Jon. Hellen war stolz auf ihren Mann. Sie war zufrieden mit ihrem Leben, ja, an Abenden wie diesem, wenn sie ihre Familie ganz für sich hatte, war sie glücklich.
    Ihr Wunsch, noch ein Kind zu bekommen, war bisher nicht in Erfüllung gegangen. «Wir diskutieren ständig darüber», hatte Hellen kürzlich einer gleichaltrigen Nachbarin im Dorf erzählt, mit der sie sich angefreundet hatte, «ich will unbedingt noch ein zweites. Er sagt, ein Kind reicht ... und dabei denke ich doch auch an Philip. Es wäre so schön für ihn, eine Schwester oder einen Bruder zu haben. Aber es klappt ja sowieso nicht, komisch.» Eine große Familie, so wie sie es von zu Hause gewohnt gewesen war, acht oder zehn Leute um einen Tisch, Leben in der Bude, Fröhlichkeit, Lärm, das Haus niemals still oder leer: das war immer ihr Traum geblieben. Zwischenzeitlich hatte sie auch über eine Adoption nachgedacht. In ihrem alten Bekanntenkreis in Hamburg gab es einige Ehepaare, die ein Kind adoptiert hatten, es war eine Zeitlang, wie Jon behauptete, «Mode gewesen». Doch der Weg dahin war weit und kompliziert, und Hellen hatte auch nie die Hoffnung aufgeben mögen, doch noch ein eigenes Kind zu bekommen. Inzwischen allerdings hatte sie sich fast damit abgefunden, daß es nicht klappte. «Soll wohl nicht sein» – mit diesem Gedanken beruhigte sie sich. Und vielleicht hatte Jon tatsächlich recht, vielleicht waren es wirklich nur egoistische Motive, unbedingt noch ein Kind haben zu wollen. Vielleicht war alles gut so, wie es war, rund, wie Jon immer zu sagen pflegte.
    «Wo bleibt ihr?» rief Jon.
    «Ich komme!» schrie Philip und stürzte in sein Zimmer. Sein Vater saß bereits auf dem Schaukelstuhl, den Hellen von ihrer Großmutter geerbt und der sie überallhin begleitet hatte. Philip warf

Weitere Kostenlose Bücher