Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
«Setzen Sie sich dahin. Augenblick.» Sie schloß die Tür, und das Paar nahm auf den Stühlen an der Wand Platz.
Hellen stellte sich an den Treppenabsatz. «Jon?» rief sie.
«Ja?» rief er zurück.
«Ich brauche dich!»
Zwei Sekunden später war Jon unten. Er verfrachtete die Schwangere in eines seiner Behandlungszimmer. Dann gab er Hellen kurz und knapp ein paar Anweisungen. Der werdende Vater mußte draußen warten. Drinnen ging Hellen Jon zur Hand. Auch in solchen Augenblicken, dachte er einmal mehr, war seine Frau einzigartig. Sie machte weder viele Worte noch viel Aufhebens. Sie paßte sich perfekt einer Situation an. Sie war schnell. Sie war klug. Jede Handreichung war richtig, jeder Handgriff saß. Er und sie waren das perfekte Team. Wenn Hellen Ärztin geworden wäre, hätten sie zusammen ein ganzes Krankenhaus schmeißen können.
Und dann war es soweit. Ein kräftiger Klaps, und das Baby tat seinen ersten Schrei. Es war ein Junge. Hellen ging hinaus in die Halle. «Gratuliere!» sagte sie strahlend. «Sie sind Vater eines gesunden Sohnes.»
Dem Mann schossen die Tränen in die Augen. «Darf ich ... rein?»
«Sie müssen!» erwiderte Hellen, ließ ihn in das Behandlungszimmer und ging die Treppe hinauf in die Küche. Sie war eine robuste Natur, aber als sie mit angesehen hatte, wie Jon der jungen Mutter das Baby in die Arme gelegt hatte und sie völlig erschöpft, aber selig lächelnd ihrem Sohn den ersten Kuß auf die klitzekleine Hand gab, hätte sie vor Rührung fast angefangen zu heulen. Sie wusch sich die Hände, trocknete sie mit einem karierten Tuch ab und setzte sich an den Küchentisch.
Barfuß kam Philip herein. «Was ist denn?» fragte er. «Was Schlimmes?»
Seine Mutter schüttelte den Kopf. «Nein, mein Süßer. Was Schönes. Dein Vater und ich, wir haben geholfen, ein Baby zur Welt zu bringen. Und nun geh schlafen. Wir lesen morgen abend weiter, ja?»
Philip nickte verständnisvoll. Was für ein wunderbarer Sohn. «Nacht.» Weg war er.
Nachdem Jon einen Krankenwagen gerufen hatte und die Familie ins Krankenhaus nach Albershude gebracht worden war, kam er zu seiner Frau in die Küche und ließ sich ihr gegenüber auf einen Stuhl sinken. Es war mittlerweile weit nach Mitternacht.
«Daß wir ausgerechnet anderer Leute Babys zur Welt bringen», sagte sie nachdenklich, «du und ich: Was wir alles erleben, hmm?» Sie streckte ihren Arm über den Tisch aus.
Er ergriff ihre Hand. «Und hoffentlich noch ganz viel davon, Liebling.»
Schweigend schauten sie sich eine Weile in die Augen.
«Noch einen Wein oder so?» fragte sie und zog ihre Hand zurück.
Er schüttelte den Kopf. «Bin todmüde.»
«Ich auch.»
Jon gähnte herzhaft.
«Ich bin nur noch müde in letzter Zeit!» ergänzte Hellen. «Ist morgen was Besonderes?»
«Morgen ist ein Tag wie jeder andere. Abflug. Hellen.»
«Zu Befehl ...» Sie stockte.
Er stand auf, wollte gehen, bemerkte, daß etwas nicht stimmte und drehte sich zu ihr um. «Ist was?»
Sie runzelte die Stirn.
«Hellen. Ich fragte: Ist was?»
Sie schüttelte den Kopf. Nicht verneinend, sondern ratlos. «Weißt du was?»
«Was?»
«Ich wollte eben sagen: Zu Befehl ...» Sie machte mit der Hand eine Bewegung, als ruderte sie ins Leere. «Ich wollte deinen Namen sagen, und ...»
«Wovon redest du?» Irritiert kam Jon zum Küchentisch zurück. «Ich verstehe nicht, was du meinst, Liebling.»
«Mir fällt dein Name nicht mehr ein.»
Fast hätte Jon aufgelacht, so komisch klang das in seinen Ohren. Aber er war Arzt. Der Impuls zu lachen gefror. Zu Eis. Zu eisigstem Eis. «Dir fällt mein Name nicht ein?»
Sie guckte ihn an. «Nein. Ich weiß nicht mehr, wie du heißt.»
Er kam zu ihr. Er zog sie hoch zu sich, umarmte sie fest. «Es ist spät, du bist müde ...»
«Ich weiß es nicht.» Ihre Stimme klang ganz dünn. «Wie heißt du?» Sie riß die Augen auf, starrte ihn an, bekam auf einmal einen aggressiven Zug um den Mund. Noch einmal fragte sie nach, laut, und wollte sich dabei aus der Umarmung befreien: «Wie heißt du?»
Er hielt sie um so fester. «Das war wohl eben zuviel für dich, was, Frau Doktor? Jon. Ich heiße Jon. Dummerchen. Komm ... zu Bett ...» Er versuchte, einen Witz zu machen. «Du Tarzan.» Er ließ sie los und tippte ihr auf die Schulter. «Ich Jon!»
Sie blieb starr und ernst. «Das ist kein Scherz. Es war weg. Völlig weg. Gott, Jon. Ich habe mich so erschrocken, was hat das zu bedeuten?»
«Nichts. Das hat nichts zu bedeuten.
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