Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
warm. Hellen trug ein weites, fließendes Blumenkleid und hatte sich einen schlichten, großen Strohhut aufgesetzt. Ein erfrischender Wind fegte über die Baumwipfel. Sie hielt mit einer Hand ihren Hut fest, während sie mit der anderen einen tannengrünen Tupfer auf ihr Bild setzte. Jon war damit beschäftigt, entlang dem Gartenweg ein Bogenspalier aufzubauen. Er hatte seinen freien Tag. Ein Kollege aus Albershude hatte heute für ihn den Dienst im Kreis übernommen. Völlig versunken in seine Arbeit, hockte er auf dem Boden und hielt mit einem Knie die Bauanleitung fest. Um diese Jahreszeit war der Garten übersät mit blühenden Rosen. Dr. Eggers hatte sie vor Jahrzehnten pflanzen lassen. Es gab Bourbonrosen, Strauch-, Kletter- und Wildrosen, Damaszener-Rosen und englische Rosen. Sie hießen Constance Spry, Fleur d'Amour, Lemon Blush oder Warwick Castle. Sie dufteten nach Himbeeren, Pfeffer, Vanille oder Zitrone, sie blühten kirschrot oder zartrosa, elfenbeinweiß, pfirsichgelb oder purpurviolett.
Jon kam hoch und versuchte, den ersten Rosenbogen aufzurichten. In diesem Augenblick fegte eine Bö durch den Garten, die Anleitung wurde hochgewirbelt, tanzte in der Luft und flog fort. Jon rannte hinterher, wie ein kleiner Junge, dem ein Luftballon davongesegelt war. Er fluchte. Hellen mußte lachen. Er blieb stehen und sah zu ihr hin. Das Papier landete direkt vor ihren Füßen. Sie hob es auf und wartete, während er zu ihr hinüberging.
«Wenn ich dich nicht hätte, Hellen ...» Er drückte ihr einen Kuß auf die Wange. Dann schaute er auf ihr Bild. Es war laienhaft gemalt, aber hatte Charakter – großformatig, wild und kraftvoll in den Farben. «Schön!» sagte er. «Weiter so.»
«Gott, bist du arrogant!» Sie nahm ihren Hut ab und schlug Jon damit kräftig auf den Rücken.
Er blieb stehen, drehte sich um. «Du schlägst mich?» fragte er und wiederholte es noch einmal, gespielt drohend, «du schlägst mich?» Er streckte beide Hände vor und wollte nach ihr greifen. Sie quietschte auf, warf ihren Pinsel zu Boden und rannte davon. Er verfolgte sie. Quer durch den ganzen Garten ging die Jagd. Neben der Regentonne an der Ecke des Hauses rutschte Hellen beinahe auf dem Kiesweg aus, aber sie konnte sich fangen und entwischte ihrem Mann in letzter Sekunde. Sie raste zu ihrer Staffelei zurück und blieb dort stehen.
Jon kam ihr nach. «Endlich hab ich dich!»
«Gnade», rief sie atemlos, «Gnade!» und hob die Arme.
Er umschlang seine Frau, küßte ihr sonst blasses Gesicht, das von der Anstrengung gerötet war, küßte ihre Stirn, ihre Wangen, ihren Mund. «Ich bin so froh, daß ich dich habe!» wiederholte er, diesmal aus ganzem Herzen.
«Ich bin auch so froh ... Jon ...»
Er erstickte die weiteren Worte mit einem Kuß.
«Das ist wirklich keine große Sache, Herr Schmidt», erklärte Jon, «wir machen nächste Woche ein EKG, und dann sehen wir weiter.» Er nahm das Stück Mull von der Einstichstelle, wo er Blut abgenommen hatte, und klebte ein Pflaster auf die Haut.
«Und im schlimmsten Fall?» Der Gastwirt ruhte sich noch einen Moment auf der Behandlungsliege aus. «Nicht, daß ich mir Sorgen mache, aber man will es ja wissen.»
Jon stellte das Glasröhrchen in eine Halterung aus Metall und setzte sich an seinen Schreibtisch. «Im schlimmsten Fall kriegen Sie einen Herzschrittmacher, das ist heute eine Routinesache, und damit können sie noch dreißig Jahre leben.»
«Gott bewahre!» Fritz Schmidt erhob sich träge. In den letzten Jahren war er kahl geworden und dick.
«Ich habe selbst seit meiner Kindheit ein schwaches Herz, und wenn ich mich eines Tages zu so einem Schritt entschließen müßte, ich würde es ohne Zögern tun.»
«Jaja, ihr Ärzte schnackt immer so!»
«Aber Sie sollten wirklich mal ein bißchen abnehmen. Auf die Ernährung achten.»
«Sacht min Fru jeden Tach ...»
«Und sie hat recht!»
«Geit nur in meinem Beruf nicht. Abend für Abend in der Kneipe stehen, hinterm Zapfhahn, ich beweg mich ja immer nur vom Tresen an den Tisch und wieder zurück.»
«Tja. Aber was nützt es, wenn Sie sich eines Tages gar nicht mehr bewegen. Merken Sie sich das: Gesundheit geht vor.» Jon schrieb für seinen Patienten ein Rezept aus, während Fritz Schmidt sich sein Hemd wieder anzog. «Sonst ist aber alles in Ordnung zu Hause? Keine besonderen Vorkommnisse, wie man so schön sagt?» Er schaute auf. Fritz Schmidt schüttelte den Kopf. «Oder Sorgen?»
«Läuft eben alles nicht mehr wie
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