Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Entwicklungshilfe oder so. Ich habe mich beworben. Mal sehen.»
Dr. Eggers strich sich nachdenklich über das Kinn. «Wir wollen nicht lange um den heißen Brei rumreden: Hättest du Lust, mein Nachfolger zu werden, die Praxis zu übernehmen? Ich werde langsam alt. Muß ja auch mal an mich denken.»
Jon war überrascht. Er hatte über diese Möglichkeit noch nie nachgedacht, fand sie aber interessant.
«Komm einfach vorbei, bevor ihr morgen zurückfahrt – ihr fahrt morgen zurück?»
Jon nickte.
«Komm Sonntag vormittag mit deiner Frau vorbei, dann reden wir darüber.» Er klopfte Jon auf die Schulter. «Ich will ja auch deine Frau gern kennenlernen, nicht wahr?»
Jon willigte ein, und der Arzt fuhr weiter. Als Jon abends im Bett Hellen davon erzählte, war sie genauso überrascht wie er. Doch je länger sie darüber sprachen, desto besser fanden sie die Idee. Eine eigene Praxis! Was für eine Aufgabe! Das bedeutete eine gesicherte Zukunft. Luisendorf war in den letzten Jahren gewachsen, die Zahl der Einwohner hatte sich stark vergrößert, es gab genügend Kranke, die man behandeln konnte, und genügend Gesunde, die krank wurden. Die Vorstellung, wieder in seinem Heimatdorf zu leben, hatte für Jon etwas Beruhigendes. Sosehr er sich auch bemüht hatte – die Großstadt war nicht sein Feld. Es gab ein paar Freunde in Hamburg, es gab ein hübsches Heim, es gab eine Stelle im Krankenhaus: mehr war es nicht für ihn. In Luisendorf aber war er zu Hause. Er kannte jeden Baum und jeden Stein, vor allem kannte er jeden im Dorf, und jeder kannte ihn. Er mochte die Luisendorfer. Ein Klönschnack über den Gartenzaun, ein Glas Bier in Schmidts Gasthof, ein Spaziergang über die Hauptstraße, durch die Wiesen und Felder, bis zum Seerosenteich vielleicht – das war für Jon das kleine Stück Glück auf Erden, liebens- und lebenswert. Hier war noch alles überschaubar, alles an seinem Platz, eine Idylle, nach der er sich so oft in den vergangenen Jahren gesehnt hatte.
Am nächsten Morgen gingen sie zu Dr. Eggers. Er wohnte in einem reetgedeckten weißgetünchten Steinhaus in einer holprigen Seitenstraße des Dorfes. Ein frisch gestrichener, grüner Holzzaun, ein Vorgarten, in dem Mohnblumen blühten, rot, rund und prall wie die Sonne, die morgens über Luisendorf aufging, blaublitzende Kornblumen, Margeriten in dicken Sträußen. Die Tür des Hauses, oben mit länglichen Glasscheiben, in denen Luftblasen eingeschlossen waren wie die Fliegen und Gräser in Gretels Bernsteinkette, unten weit ausladend, barockbauchig geschnitzt. Eine Messingglocke mit einer Kette, an deren Ende ein Griff in Form einer Ente baumelte. Drinnen eine kleine Halle, gefliest mit Solnhofener Platten, die auch als Wartezimmer diente. Von der Halle gingen die Behandlungszimmer ab, an ihrem Ende befand sich eine Tür zum Garten; eine Holztreppe, mit schwarz lackiertem Lauf und mit Sisal bespannt, führte nach oben in die Wohnung des allein lebenden Arztes.
Hellen war begeistert. In Gedanken richtete sie schon alles ein: die Bauernküche mit ihren bemalten Schranktüren, das Wohnzimmer mit den Dachschrägen, es gab zwei winzige Schlafzimmer, die durch ein Bad miteinander verbunden waren, und eine Kammer, die man als Kinderzimmer für Philip ausbauen konnte. Im pieksauberen Keller hatte der Arzt eine Sauna einbauen lassen, er war ein Gesundheitsfanatiker, und einen kühlen, dunklen Weinkeller, denn er war auch ein Liebhaber und Kenner guter Weine. Der Garten war gepflegt und überwiegend mit Rosen bepflanzt, die kräftig blühten; er grenzte an ein Waldstück, und der hintere Teil, in dem ein Schuppen stand, lag in kühlem Schatten.
Nach der Besichtigung setzten sich die drei in das Besprechungszimmer. Dr. Eggers, nun schon über siebzig, aber glatt zehn Jahre jünger aussehend, nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und sah das Ehepaar erwartungsvoll an. «Was sagt ihr?» Charmant neigte er den Kopf ein wenig zur Seite und zwinkerte Hellen an. «Ich darf doch du sagen?»
«Er duzt alle im Dorf», erklärte Jon lachend. «Den Pastor, Fritz Schmidt, Johanna Kröger, Bäcker Voss, Bauer Fenske, meinen Vater, alle ... das war schon immer so, aber wehe, jemand bringt ihm keinen Respekt entgegen und wagt es, du zu ihm zu sagen.»
«Das wirst du noch lernen müssen, wenn du das hier übernimmst, mein Jung», meinte Dr. Eggers fröhlich, «der Arzt ist im Dorf der König. Er entscheidet über Leben und Tod. Mehr oder weniger. Hat einen direkten Draht zum
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