Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Einkaufszentren, die in die Waldstücke hineingebaut worden waren, bis sie endlich das flache Land erreichten und Southampton durchquerten. Zweieinhalb Stunden später fuhr die Limousine durch die Hauptstraße von East Hampton. Mit ihren kleinen Läden und verschnörkelten Häuserfassaden, den im Wind flatternden Fahnen und den kurzgeschorenen Rasenflächen kam sie Jon vor wie aus einem Amerika-Bilderbuch. An einer Kreuzung bogen sie rechts ab. Die Straßen wurden schmaler, die Häuser prächtiger, die Grundstücke größer, sie kamen an Golfplätzen vorbei und sahen am Ende der Hügel das Meer aufblitzen. Kurz vor einem Parkplatz, der an die Dünen angrenzte, lenkte der Fahrer das Auto auf einen holprigen Privatweg und hielt dann vor einem einsamen Haus mit einem Spitzdach aus Zedernholzschindeln.
«Da sind wir!» Isabelle stieg aus, streckte sich, atmete tief durch. Es wehte ein kräftiger Wind. Sie ging durch den Vorgarten – ein weißer Zaun, hinter dem Lupinen wucherten, gepflegter Rasen, ein paar Kiefern und Büsche – zum Haus. Es hatte eine überdachte Terrasse mit Holzsäulen, die mit Efeu bewachsen waren. Jon folgte Isabelle. Der Fahrer schleppte das Gepäck und den Picknickkorb hinterher. Auf der Terrasse standen zwei gepolsterte Korbstühle, als hätten sie auf die Ankunft der beiden gewartet.
Isabelle blickte durch die Sprossenfenster hinein. «Scheint keiner dazusein», erklärte sie fröhlich und schloß auf. Auf der Fußmatte vor der Haustür lagen ein Stapel Post und vergilbte Zeitungen. «Ach, wie lange war ich nicht mehr hier ...»
Sie betraten das Haus. Im Gegensatz zu ihrer luxuriösen New Yorker Wohnung nahm es sich bescheiden aus. Es gab weder eine Halle noch einen Vorraum oder Flur, man stand sofort im Wohnzimmer. Dessen Mittelpunkt bildete ein Kamin aus rotem Backstein. Es war ländlich eingerichtet, tintenblaue Korbstühle, ein Lesesessel, mit Rosenstoffen bezogen, kleine Holztische, Stehlampen mit weißen Hütchenschirmen, Schalen mit Muscheln und Steinen. Der Boden war aus Holz, die Wände schlicht weiß gestrichen. Jon fiel auf, daß es keine Türen gab, vom Wohnzimmer gelangte man in das Eßzimmer mit seinem langen Holztisch, das wiederum direkt an die Küche grenzte. Ein schmaler Flur führte zur winzigen Bibliothek, in der ein Sofa stand und ein Fernseher. Von dort ging eine Treppe nach oben. Isabelle wies den Fahrer an, ihre Sachen hinaufzubringen, und zeigte Jon dort die drei Schlafzimmer, die alle Dachschrägen und eingebaute Schränke hatten, gemütliche, alte Messingbetten, die mit blau-weißer Bettwäsche bezogen waren, und zum Schluß noch die winzigen schneeweißen Bäder.
«Wie findest du's?» fragte sie.
«Schön. Atmosphärisch.»
Wenig später verabschiedete sich der Fahrer und fuhr nach New York zurück.
«Wir brauchen kein Auto», erklärte Isabelle kategorisch, «wir können alles zu Fuß erreichen, außerdem haben wir hinten im Garten ein Häuschen, in dem Fahrräder stehen.»
«Wieso fährst du eigentlich nicht selbst?» fragte er.
«Weil ich keinen Führerschein habe!»
«Wie bitte?»
«Nie einen gemacht. Ich hatte einfach nie Zeit dazu!»
Jon grinste. «Wer immer nur hinten rechts sitzt, verliert das Gefühl fürs Steuern.»
«Keine Sorge. Ich bin immer ganz gut durchgekommen!»
Das Gepäck war schnell ausgepackt. Sie bezogen getrennte Schlafzimmer. Anschließend verstauten sie die Lebensmittel und Getränke aus dem Picknickkorb im Kühlschrank. Danach schlug Isabelle vor, einen Spaziergang am Meer zu machen. Hinter dem Haus befand sich eine zweite, nicht überdachte Holzterrasse mit breiten Stufen zum Rasen, auf denen man sitzen konnte. Hintereinander gingen Isabelle und Jon über einen krummen, langen Steg, der hinter dem Grundstück begann und zum Meer führte. Man roch schon den Ozean und hörte das Krachen der Wellen. Dann sahen sie den Strand. Er schien unendlich zu sein. Breit, weiß und menschenleer lag er vor ihnen. Lediglich ein paar Seemöwen standen gelangweilt im Sand und machten nur ab und zu einen Satz zur Seite, wenn ihnen die Gischt zu nah kam. Isabelle zog ihre Tennisschuhe aus, knotete die Schnürsenkel zusammen und hängte sie sich über die Schulter. Jon tat es ihr gleich und krempelte die Beine seiner Hose hoch. Sie gingen schweigend durch den Sand. Das Wasser umspülte ihre Füße, kalt und erfrischend. Fasziniert blieb Jon gelegentlich stehen, beugte sich hinunter und sammelte die eine oder andere Muschel auf. Er hatte noch nie
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