Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Aber das wird dann richtig teuer! Okay?»
«Okay.»
Über die Park Avenue fuhren sie zurück. Von dort aus machten sie einen Spaziergang zum Empire State Building, lösten zwei Tickets und erwischten einen letzten Lift nach oben. Von der Aussichtsplattform hatten sie einen überwältigenden Blick auf die funkelnde Stadt. Hier pfiff ein kalter Wind, und gern ließ Isabelle es sich gefallen, daß Jon ihr sein Leinenjackett um die Schultern legte. Er blieb hinter ihr stehen. Beide guckten in Richtung Hudson.
«Kennst du diesen Film mit Cary Grant und Deborah Kerr – er Playboy, sie Nachtclubsängerin –, die sich auf einem Kreuzfahrtschiff unsterblich ineinander verlieben?»
«Nee.»
«So richtig zum Abheulen, sage ich dir ... sie reisen gemeinsam von Europa nach Amerika zurück, müssen sich aber wieder trennen und verabreden sich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt hier oben, auf der Aussichtsplattform ...»
«Verstehe ...»
«Nein, nun warte doch mal ... viel Zeit vergeht ... und an dem besagten Tag zur verabredeten Uhrzeit ...»
«Fallen sie sich hier in die Arme.»
«Daß Männer immer so ungeschickt sind. Und so unromantisch! Nein. Ganz anders. Er ist da. Er. Cary Grant. Er wartet und wartet. Bis der Liftführer sagt: Sorry, wir schließen. Cary Grant ist todunglücklich. Sie liebt mich nicht mehr, denkt er, sie hat mich vergessen. Aber dann ... wiederum nach vielen Irrungen und Wirrungen ... erfährt er am Ende, daß sie ihn nie vergessen hat, daß sie ihn immer geliebt hat. Sie konnte nicht kommen. Sie konnte nicht, verstehst du, Jon? Auf dem Weg zum Empire State Building hatte sie einen Autounfall, kann seitdem nicht mehr laufen. Aus Angst, er würde eine gelähmte Frau nicht wollen, hatte sie sich nie wieder bei ihm gemeldet ... und dann kommt er zu ihr, erfährt alles und gesteht ihr, daß er sie noch immer liebt ... aber sie haben ihr halbes Leben vergeudet ...» Sie hielt inne. «‹Die große Liebe meines Lebens› heißt der Film, auf englisch An Affair to Remember ...» Ein wenig schämte sie sich jetzt, weil sie befürchtete, Jon könnte die Geschichte als eine gewollte Andeutung mißverstehen, die sich auf sie beide bezöge. Isabelle drehte sich zu ihm um. «Traurig, oder? Ich könnte schon wieder heulen ...»
Er zog ein sauberes, sorgfältig zusammengefaltetes Taschentuch aus der Hosentasche und gab es ihr.
Sie schneuzte sich. «Ich hätte schwören können, daß du ein Taschentuch hast. Du hast immer ein Taschentuch gehabt ... zum Dreckabwischen und Blutstillen und Äpfelvierteln und Frösche-nach-Hause-Schleppen ...»
«Das war die gute Erziehung meiner Mutter», sagte er grinsend.
«Ach, deine Mutter, ja ...» Mit dem Zeigefinger strich sie zart und langsam über seinen Arm. «Darf ich das Taschentuch behalten?»
«Alles. Alles, was du willst.»
«Jetzt ist mir kalt.»
«Dann gehen wir.»
Sie fuhren wieder hinunter, schlenderten, Schaufenster betrachtend, über die Fifth Avenue hoch bis zum Plaza Hotel. Isabelle zeigte ihm alle Geschäfte, in denen ihre Mode verkauft wurde. Es war Mitternacht, noch immer laut und noch immer angenehm draußen. Vor dem Seiteneingang des Hotels, der zur Bar, dem Oak Room, führte, blieben sie stehen. Ein Afrikaner, der im Dunkeln gegen die Hauswand gelehnt stand, mit einem Kasten, der an einem Riemen vor seinem Bauch befestigt war, kam zu ihnen. Er öffnete den Kasten und zeigte ihnen seine Schätze – gefälschte Armbanduhren und Sonnenbrillen, während er in einem wilden Sprachgemisch auf sie einredete: «Where are you from? – Germany? Ich wünsche einen guten Appetit – nice watches, great names – look, sehen – honeymoon?» Als ein Polizist mit tiefsitzender Hose, an der Schlagstock, Handschellen und eine Pistole hingen, langsam den Gehweg des Central Park South herunterkam, klappte der Afrikaner wortlos und blitzartig seinen Kasten zusammen und verschwand wieder im Dunkeln. Freundlich an seine Schirmmütze tippend, ging der Officer vorbei. Es war wie eine Szene aus der West Side Story. Cool, cool, really cool ...
In letzter Sekunde hatte Isabelle im Kasten des Afrikaners noch eine Brille aus der Corthen-Sun-Collection erkannt, und sie mußte lachen. «Du glaubst nicht, wer mich alles kopiert hat ... manche ganz offen, meine Ideen, meine Entwürfe ... Patrizia hat dann immer gesagt, komm, wir schicken denen eine Kiste Kupferberg ...» Jon verstand nicht sofort. «Abkupfern! Davon lebt unsere Branche!»
«Du bist noch nicht durch mit dem
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