Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Thema, was? Es fehlt dir, oder?»
«Ach was, Schnee von gestern.»
Am Rande des Gehweges standen noch ein paar Kutschen. Die Pferde schienen hinter ihren Scheuklappen bereits die Augen geschlossen zu haben. Manche fraßen Heu aus den Beuteln, die ihnen umgehängt worden waren. Ihr Speichel dampfte. Drei Kutscher standen zusammen und quatschten.
«Hast du Lust?» fragte Jon.
«Jetzt noch?»
«Aber ja!»
Fröhlich stiegen sie in eine der Kutschen, ein junger Mann kam angetrabt. Nachdem sie den Preis ausgehandelt hatte (Jon war überrascht, wie knallhart Isabelle die geforderte Summe halbierte), unternahmen sie eine Fahrt durch das nächtliche Manhattan. Die Hufe des Gauls klapperten auf dem Asphalt. Klack, klack, klack. Der Kutscher hatte ihnen zwei karierte, kratzige Wolldecken gegeben, die sie sich auf die Knie legten. Jon saß Isabelle gegenüber.
«Warum setzt du dich nicht neben mich?»
«Weil ich dich so besser ansehen kann.»
«Jaja, böser Wolf!» Isabelle wehrte sich dagegen, sich in das große Gefühl fallen zu lassen. Und auch er blieb, trotz aller Nähe und Offenheit, auf eine seltsame Weise distanziert, so, als fürchte er, erneut abgewiesen zu werden. Vielleicht hatte er auch einen ganz anderen Grund. Vielleicht wollte er auch einfach nicht. Vielleicht bildete sie sich bloß wieder zuviel ein.
Schweigend genossen sie die gemächliche Tour. Auf der Rückfahrt brachten sie den Kutscher dazu, sie direkt vor dem Hampshire House abzusetzen. Galant hielt Jon Isabelle seine Hand hin und half ihr aus dem Einspänner.
Der Nachtportier tippte an seinen Zylinder, als er Isabelle erkannte.
«Bonsoir, Miguel!»
Er war ein kleiner, runder Mexikaner Ende Fünfzig und liebte es, mit ihr französisch zu parlieren. «Bonsoir, Madame Corthen! Comment allez-vouz?»
«Bien!» antwortete sie. «I'm fine!»
Er setzte die Drehtür in Bewegung, aber Jon blieb auf dem Gehweg stehen.
«Ich gehe jetzt besser schlafen, hmm?»
Sie nickte.
Er griff in seine Hosentasche, nahm ein Päckchen Tabletten heraus und gab ihr eine davon. «Zum Schlafen!» erklärte er. «Aber nur diese eine hier, ja?»
Sie war baff.
«Ab jetzt wird alles von mir kontrolliert!» erklärte er unbeirrt. «Und ich hoffe, du hältst dich an meinen ärztlichen ...», er beugte sich leicht vor, «freundschaftlichen Rat!» Es klang streng.
«Spielen wir jetzt der Widerspenstigen Zähmung?» fragte sie.
«Ja. Ja, wir spielen jetzt der Widerspenstigen Zähmung. Gute Nacht. Schlaf schön. Es war ein schöner Tag, Isabelle, und ein wunderbarer Ausklang!» Er strahlte sie an, drehte sich um und ging. Verblüfft sah sie ihm nach.
Kapitel 32
Ich habe eine Überraschung für dich!» rief Isabelle, als Jon drei Tage später, wie immer morgens um neun, ihre Wohnung betrat.
Seit einer Woche war er nun schon in New York, und ein Tag war schöner als der andere. Isabelle verspürte frische Kräfte. Es war, als habe ihr jemand eine Energiespritze gegeben. Wäre sie in Hamburg gewesen, sie hätte wieder angefangen zu arbeiten. Aber sie war in New York, und dies war ein anderes Leben. Ihr neues Leben. Sie war vernarrt in Jon, geradezu süchtig nach ihm, konnte es kaum ertragen, wenn er sich allabendlich vor dem Hampshire House von ihr verabschiedete, und kaum erwarten, daß er morgens zu ihr kam. Alle Museen hatten sie abgeklappert, sich wichtige Ausstellungen angesehen, Galerien besucht, und nur mit Mühe konnte Jon Isabelle davon abbringen, sich ein großformatiges Gemälde von Erich Fischl zu kaufen, das mehr kosten sollte, als er in einem Jahr als Landarzt verdiente. Abends hatte sie ihn in die Metropolitan Opera geschleppt, in Don Giovanni, und ihm hinterher, bei einem Nachtessen im Restaurant Vong, wo sie lauwarmen, nussigen Maine-Lobster mit Ingwer-Reis naschten, von Puppe Mandel und ihrem Faible für Mozart erzählt.
«Sie sitzt jetzt da drüben, in dieser dunklen Villa, an der Seite ihres halbseitig gelähmten Mannes, der noch immer nicht sprechen kann, seit Jahren schon, und umsorgt ihn und hält seine Hand ... und das Beste ist, ob du es glaubst oder nicht: Sie sind glücklich dabei. Sie genießen jede Minute, die sie gemeinsam verbringen. Sie sitzen da, halten Händchen, sehen sich an, streicheln sich. Und sind glücklich! Seltsam.»
«Nein», meinte Jon, «das ist nicht seltsam. Das ist Liebe.»
Sie legte die Eßstäbchen beiseite und vertraute ihm jene Geschichte an, die Carl einmal angedeutet und die Puppe Mandel ihr in einer schwachen
Weitere Kostenlose Bücher