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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Atelier. Die Lilienblüten in der Vase verströmten ihren giftigschweren Duft. Irgendwo ratterte eine alte fußbetriebene Nähmaschine, Mozart-Klänge rieselten kaskadengleich vom oberen Stockwerk herunter.
    Carl wollte die Treppe hinaufgehen, als ihm Alma, eine dünne Frau Anfang Sechzig, in weißem Kittel und flachen Schuhen entgegenkam.
    «Montag», flötete sie verschwörerisch und hob den Zeigefinger, «man wartet schon!»
    «Danke, Alma.» Carl drückte sich schmunzelnd an ihr vorbei.
    Im ersten Stock lief ihm eines der Mädchen über den Weg, eine Schneiderin, die ein Maßband um den Hals gelegt und eine Nadel zwischen die Zähne gesteckt hatte. Sie nickte nur und verschwand im Atelier. Carl mußte die Kordel, die, mit Messingverschlüssen an den Enden, vor die Treppe ins Dachgeschoß gespannt war, aushängen und nahm dann die letzten Stufen. Jetzt konnte er die Musik erkennen, es war die Ouvertüre zu Don Giovanni. Ein Hauch von Madame Rochas lag in der Luft und der Geruch von Zigaretten.
    Eine Tür der vom Flur abgehenden Zimmer war weit geöffnet. Carl hörte ein Summen. Er stellte seinen Aktenkoffer ab, lehnte sich unbemerkt gegen den Türrahmen und lächelte: Da saß sie auf der Fensterbank, barfuß und nur mit einem Kimono bekleidet, die Haare mit zwei chinesischen Eßstäbchen hochgesteckt, eine Silberspitze mit brennender Zigarette zwischen den Lippen, die Beine angezogen, einen Malblock auf den Knien, und entwarf mit einem dicken Bleistift Kleider. Das war Puppe Mandel.
    Carl räusperte sich.
    Sie sah zur Tür hin.
    «Razzledazzle?» fragte er ironisch.
    «Razzledazzle!» Sie ließ mit großer Geste Stift und Papier zu Boden sinken, legte die Zigarette in den Meißen-Aschenbecher, der neben ihr stand, kam von der Fensterbank herunter und lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Auch er streckte die Arme aus. Sie küßten sich in der Tür.
    «Du bist so früh! Ich dachte, du hättest noch bei deiner Bank zu tun?»
    «Ich konnte nicht abwarten ... ich ...»
    Ihr Kimono hatte sich geöffnet. Sie war darunter nackt. Mit gespielter Scham raffte sie den Stoff und hielt ihn vor der Brust zusammen.
    Carl legte ihr die Rose ins Dekolleté. «Habe ich dir mitgebracht.»
    Sie nahm die Rose, roch daran. Ihr Kimono öffnete sich wieder. «Aus meinem Garten ...» Sie strich ihm mit der Knospe über die Lippen. «Dieb. Ich werde dich verklagen müssen.» Sie ging zur Musiktruhe, die in der Ecke stand, und stellte den Ton leiser. Carl beobachtete sie dabei. Sie hatte einen festen Gang, setzte zuerst die Fersen auf, rollte dann die Füße leicht nach außen gestellt ab, wie eine Tänzerin.
    Carl liebte diesen Gang. Er liebte alles an ihr. Sie war etwas älter als er, und Carl fand, sie war mit jedem Jahr, das sie sich kannten, schöner geworden. Sie hatte den feinen, blassen, empfindlichen Teint rothaariger Frauen, denen man ihre Erregung leicht ansah. Sommersprossen gaben ihrer Reife etwas Junges und Fröhliches, das durch die Lachfalten um ihre Augen noch verstärkt wurde. Am auffälligsten aber war ihre Stimme. Immer wieder waren Menschen, die sie zum erstenmal sprechen hörten, überrascht. Erstaunlich tief, rauh, ein bißchen heiser und oft sehr laut. Genau wie ihr Lachen. Wie das eines Kerls, fand Carl. Es paßte so gar nicht zu ihrem Image als Modeschöpferin, zu ihrer eleganten Erscheinung, zu ihrem Namen. Puppe: aus dem Vornamen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten, Marieluise, war dieser Kosename geworden, den ihr Mann, der lange tot war, sich für sie ausgedacht hatte; bald nannte alle Welt sie Puppe, das hatte sie auf ihrem Weg zum Ruhm begleitet; sie selbst konnte sich kaum noch an ihren richtigen Vornamen erinnern und ertappte sich gelegentlich dabei, wie sie sogar Verträge mit «Puppe Mandel» unterschrieb.
    Von Anfang an hatten die beiden viel miteinander gelacht. Erotische Anziehung war der Motor ihrer Liebe, Humor das Öl darin. Sie hatten sich kennengelernt, als Carl vor zehn Jahren zum erstenmal in ihren Salon gekommen war, um Stoffe zu verkaufen. Aus einer Geschäftsbeziehung war eine Liebesbeziehung geworden. Seither telefonierten sie täglich miteinander, sahen sich aber nur einmal im Monat. Es war ein Ritual, an dem keiner von ihnen rütteln wollte. Es war eine Situation, die keiner verändern mochte.
    Die Affäre galt als offenes Geheimnis. Sie war so bekannt, daß die Leute sich nicht einmal mehr die Mühe machten, darüber zu tratschen. In der Hamburger Gesellschaft wußte man: Carl

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