Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Carl schätzten. Er sammelte alte Meister, die er Holländer nannte, ohne großen Sachverstand zwar, aber mit erlesenem Geschmack. Er sammelte Dinge, kluge Sprüche, Zeitungsausschnitte, gute Gelegenheiten, Erfolge. Er sammelte, ohne es selbst zu wissen, gegen den Tod an.
«Du hast einen Vogel, Carl», sagte Charlotte, wenn er wieder etwas anschleppte. «Du bist schlimmer als Pippi Langstrumpf, wir werden aus unserem schönen Haus eine Rumpelkammer machen, wenn es so weitergeht!»
Mal präsentierte er seiner Frau ein Silberbesteck, das ihm ein Fremder auf einem Parkplatz im Hafen angedreht hatte und das sich später als unecht entpuppte. Mal brachte er eine streunende Katze mit, die er von einem Baum gerettet und seiner Tochter geschenkt hatte und die längst wieder entlaufen war. Mal erwarb er auf einer Reise durch China antike Vasen in so großer Zahl, daß er sie nicht selbst transportieren konnte, sondern per Schiff nach Hamburg schicken lassen mußte. Einmal hatte er einer Frau zweifelhafter Herkunft, die auf der Suche nach einer Bleibe mit einem Koffer durch die Stadt geirrt war, Logis in seiner Villa angeboten. Doch da streikte Charlotte Trakenberg. Nach einer – unruhigen – Nacht mußte die Fremde, mit etwas Geld von Carl getröstet, wieder ausziehen.
«Du bist ein Verrückter!» erklärte seine Frau ihm. «Du wirst uns eines Tages noch um Kopf und Kragen bringen. Ich wundere mich, daß deine Geschäfte so gut laufen. Wirklich! Du machst mir angst!»
Zwanzig Jahre gehörte Carl nun schon das «Handelshaus Carl Trakenberg», das er von seinem Vater übernommen und ausgebaut hatte. Er handelte mit Stoffen, und er verdiente gut daran. Er importierte Brokat aus Indien, Seide aus China und Thailand, Baumwollstoffe aus Ägypten, Samt aus Frankreich, Kaschmir und Tweed aus England, er arbeitete mit den besten Webereien in Italien zusammen, war an einer Leinenfabrik in Österreich beteiligt und an einer australischen Farm, auf der Merinoschafe gezüchtet wurden. Die Farm gehörte einem alten Hamburger Freund von ihm, der ausgewandert war.
Carl hatte für diesen Vormittag seine Garderobe mit Bedacht ausgewählt. Taubengrauer Anzug, weißes Hemd aus Schweizer Batist, maisgelbe Hermès-Krawatte, eine Gelbgoldnadel mit großer, tropfenförmiger Südseeperle. Während er seinen Mercedes über den Jungfernstieg lenkte, warf er einen kurzen, zufriedenen Blick in den Rückspiegel. Mit der linken Hand lenkte er den Wagen lässig nach rechts, mit der anderen Hand strich er sich über das Brisk-geglättete, glänzende Haar. Er war mit seiner Frau bei der gemeinsamen Hausbank am Ballindamm gewesen, hatte sie danach vor dem Alsterpavillon abgesetzt, wo sie mit einer Freundin verabredet war, und fuhr jetzt über den Gänsemarkt, vorbei an der Staatsoper und dem Dammtorbahnhof, hinunter zum Alsterufer. Kurz hinter dem amerikanischen Konsulat bremste er ab, setzte den Blinker und fuhr dann langsam auf einen kleinen, mit Granitsteinen gepflasterten Platz vor einem Rotklinkerhaus.
Er schaltete den Motor aus, griff hinter sich auf die Rückbank, wo sein Aktenkoffer lag, nahm ihn auf und stieg aus. Er streckte sich kurz und blickte auf die gegenüberliegende Straßenseite, das mit Büschen und Bäumen bewachsene Ufer, die Alster. Unzählige Hamburger hatten das schöne Wetter genutzt und, trotz flauen Windes, die Segel ihrer Boote gesetzt. Ein Alsterdampfer fuhr gemütlich, eine Gischtspur hinter sich herziehend, in Richtung Uhlenhorst. Eine Reihe von Schwänen zog durch das Wasser, wie Ballerinen auf einer Opernbühne. Die Silhouette der Stadt blitzte. Ein paar Möwen standen flatternd in der Luft und stießen kreischend herab, als eine alte Dame Brotkrumen ins Wasser warf. Ein Liebespärchen radelte vorbei, auf einer Bank saß ein Mann und las in einem Buch. Carl seufzte glücklich. Er liebte Hamburg, er liebte den Sommer, er liebte das Leben. Und das Leben liebte ihn.
Er drehte sich zu dem Haus um. Es war proper und gepflegt. Weinreben überwucherten die straßenzugewandte Seite. Verschnörkelte gußeiserne Gitter vor den Erdgeschoßfenstern, weiße Holzläden, rosa-weiß gestreifte Markisen, die sich schräg und schattenspendend im Obergeschoß über die Fenster neigten, gaben der Villa etwas Feminines. Über dem Rundbogen der Eingangstür aus kunstvoll geschnitztem Holz waren Buchstaben aus matter Bronze angebracht: Modesalon Mandel.
Carl verschloß sein Auto. Er zog den Schlüssel heraus und vergewisserte sich dann noch
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