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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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jede Nadel einzeln zu entstauben. Sie mußte sie abpusten und, nach den Farben der Köpfe geordnet, in kleine, durchsichtige Plastikschalen legen.
    Isabelle lernte, Pantoffeln zu besticken, Rundungen zu nähen, zu bügeln, «ja» zu sagen, sich zu disziplinieren und unterzuordnen. Sie besuchte die Berufsschule, wurde in Material- und Fachkunde und kaufmännischem Rechnen unterrichtet und hatte ein Berichtsheft zu führen, das Alma gegenlas und abzeichnete. Nach dem zweiten Lehrjahr veränderte sich die Beziehung zwischen ihnen allmählich, denn Alma wußte, daß das Ende der Lehrzeit nun nicht mehr weit war, sie schien zu spüren, daß dann Isabelles Abschied bevorstand, und sie wollte sich mit ihr gut stellen. Die beiden fingen an, sich zu unterhalten. Die Frühstückspause – ein Ritual, an dem Alma niemals zuvor jemanden hatte teilhaben lassen – verbrachten sie nun gemeinsam.
    In der Küche neben dem Atelier, die nach hinten hinausging, röstete sich Alma jeden Morgen um neun auf einer Kochplatte zwei Hälften eines Brötchens, meistens so lange, bis schwarzer Rauch aufstieg. Während Isabelle ihr und sich selbst einen Becher Kaffee einschenkte, kratzte Alma das Verbrannte mit einem Messer ab, bestrich sich die Hälften mit Butter und Kräuterquark und setzte sich an den Campingtisch, der dort stand. Isabelle löffelte meist einen Joghurt oder aß einen Apfel. Sie lasen ein paar Minuten schweigend, ihr zweites Frühstück einnehmend, im Hamburger Abendblatt und der Bild, dann falteten sie die Zeitungen zusammen und begannen, sich zu unterhalten. Alma erzählte dabei oft von früher. Sie war gelernte Schneiderin, hatte aber nach dem Krieg, weil sie keine andere Arbeit fand, bei einem Kaffeeröster gearbeitet. Ihr Chef hatte die Idee entwickelt, kleine Tüten mit Kaffeebohnen in Haushalten zu verteilen, um auf diese Weise Werbung für sich und sein Ladengeschäft zu machen. Es waren damals karge Zeiten, die Leute waren dankbar für solche Überraschungen und rannten ihm die Bude ein. Bald eröffnete er eine Filiale nach der anderen. Alma wurde seine rechte Hand, übernahm die Revision und fuhr mit ihrem VW-Käfer quer durch Norddeutschland, um die Kaffeegeschäfte zu überprüfen. Sie war erfolgreich, verdiente gut, glaubte die Welt erobern zu können. Besonders, als sie auf einer ihrer Reisen einen deutschen Kaufmann aus Südamerika kennenlernte. Er war sehr reich. Die beiden verliebten sich ineinander, sie folgte ihm, gab ihre Arbeit auf und zog nach São Paulo.
    «Machen Sie das nie, Isabelle! Einem Mann zu folgen! Hals über Kopf. Aber nein, Sie sind ja ganz anders als ich. Nicht so dumm!»
    Ein wundervolles Leben begann, voller Glanz und Glück. Doch die Sache ging schief. Alma kam zurück. Bei Puppe Mandel fand sie eine Anstellung als Obergesellin. Zwei Jahre später war sie Direktrice. Doch den Mann konnte sie nicht vergessen, und auch er ließ sie nicht in Ruhe. Er schrieb ihr Briefe, er schickte ihr Blumen, er bat um ein Wiedersehen. Er machte ihr telegrafisch einen Heiratsantrag. Sie kabelte zurück: Ja.
    «Ich war so nervös. Sie glauben es nicht. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Und dann passierte es. Ich hatte einen Unfall mit meinem Auto, kam schwerverletzt ins Krankenhaus. Und zur selben Zeit, man glaubt es kaum, passierte ihm ein ebensolches Unglück. Er fuhr über eine Landstraße, drüben, hatte den Ellenbogen so ...», sie lehnte ihren Ellenbogen weit über den Campingtisch, «... aus dem Fenster gelegt. Dann kam dieser andere Wagen ... Tja. Ihm wurde der Arm abgerissen.»
    Sie sahen sich erst ein Jahr später wieder. Auf dem Flughafen in Frankfurt. «Ich stand oben. Er kam auf der Rolltreppe hochgefahren. Ich sah erst seinen Kopf, seine schwarzen Locken, sein gebräuntes Gesicht, dann ihn. Ein alter Mann. Er hatte nur noch einen Arm. Ich war ganz dünn geworden, so dünn, wie ich heute bin ... er blieb vor mir stehen und sagte nur: Ja, Alma. Es ist viel passiert in der Zwischenzeit, nicht wahr?»
    Sie kamen niemals zusammen. Er mußte der Geschäfte wegen zurück nach Südamerika. Sie konnte ihm nicht gleich folgen. Er wurde sehr krank. Sein Sohn verhinderte, daß er ihre Briefe erhielt, am Telefon wimmelte er Alma ab. Wenig später starb er.
    «Was hatten wir nicht alles für Pläne! Was hat er mir nicht alles versprochen! Ich denke so oft, daß ich eine von «denen» sein könnte – Sie wissen schon – reich, sorgenfrei ...» Sie lachte. «Abscheulich ...» In einem Zug trank sie

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