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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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sie zeigte es ihm nicht.
    Das zweite Mal, daß sie sich wiedersahen, war kurz nach Jons achtzehntem Geburtstag. Er hatte mit Bravour sein Abitur bestanden und feierte diese beiden Anlässe mit einer Fete in der Dorfschule. Isabelle durfte kommen. Gretel hatte bei Ida ein gutes Wort eingelegt und Fritz beauftragt, Isabelle vom Bahnhof abzuholen, bei sich im Gasthof übernachten zu lassen und am nächsten Morgen, einem Sonntag, wieder in die Bahn zu setzen.
    Isabelle war außer sich, daß es immer noch Diskussionen darüber gab, was sie durfte und was nicht. Die anderen beiden Lehrlinge im Modesalon, Patrizia und Susanne, nur ein Jahr älter als Isabelle, machten schon seit langem, was sie wollten, mußten abends natürlich nicht zu einer bestimmten Uhrzeit zu Hause sein und durften sogar Freunde mitbringen.
    «Du bist noch nicht volljährig», hatte ihre Mutter entgegnet, «wenn du einundzwanzig bist, kannst du machen, was du willst. Aber solange du die Füße noch unter meinen Tisch streckst ...» Den Rest hatte sich Isabelle nicht mehr anhören wollen und hatte wütend die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich zugeknallt.
    Ein prunkvoller Oktobertag. Die Natur hatte alles, was sie bieten konnte, noch einmal voller Lust ausgebreitet. Licht, Wärme, leuchtende Farben, den Gesang der Vögel, den Duft von Blumen, Wald und Wiese. Jon stand allein auf dem Bahnsteig, als der Zug einlief. Fritz Schmidt war in seinem Auto geblieben und wartete mit laufendem Motor vor dem Bahnhof.
    Es war ein aufregender Moment. Jon sah toll aus. Fast eins neunzig groß, trug er die Haare jetzt annähernd schulterlang. Sein Gesicht war schmal und markant. Das Grübchen im Kinn, so schien es Isabelle, als sie ausstieg und auf ihn zuging, war ausgeprägter geworden, ebenso wie das Leuchten seiner Augen. Er hatte breite Schultern bekommen, muskulöse Arme, seine Haut war von der Sonne gebräunt. Man sah, daß er Sport trieb. Er trug Jeans, ein schrilles Paisleymusterhemd mit langem spitzem Kragen, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte. Mit einer Hand hielt er eine lederne Motorradjacke lässig über der Schulter.
    Sie umarmten sich kurz, wie alte Freunde.
    «Gut siehst du aus!» sagte sie.
    «Das sagst du!»
    Sie knuffte ihn gegen seinen flachen Bauch. «Fußball? Hast du doch früher gehaßt!»
    Er nickte und zählte stolz auf. «Schwimmen, Handball, Volleyball, ich bin in Albershude in der Mannschaft ... gib her», er nahm ihr die geblümte Leinenreisetasche ab, die Puppe Mandel ausrangiert und ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, «... du hast dich auch ganz schön verändert!»
    Isabelle legte mit Schwung ihren Arm um seine Schultern und lachte. Sie hatte ihren geliebten Spenzer aus rotem Lackleder angezogen, einen engen schwarzen Rippenpullover, der ihren Bauchnabel freigab, eine schwarze Schlaghose und Lacksandalen. Zu Hause hatte sie sich genau überlegt, was sie anziehen sollte, ein halbes dutzendmal ihre Klamotten aufs Bett geworfen und wieder weggehängt, bis sie sich entschieden hatte. Sie sah blendend aus, vielleicht ein wenig zu bunt, zu laut, zu auffällig für so ein abgeschiedenes Fleckchen Erde, wie Luisendorf es war. «Ich hab's einfach so aus dem Schrank genommen, ich wußte nicht, was ich anziehen sollte», erklärte sie lässig.
    «Mir gefällt es», sagte Jon, ohne sie anzusehen.
    Herzlich begrüßte sie Fritz, der Isabelle sprachlos und bewundernd anschaute und auf der Fahrt zum Gasthof ständig davon sprach, was für eine «große Deern» sie geworden sei. Am Nachmittag desselben Tages besuchte sie Jon zu Hause. Sie wollte bei den Vorbereitungen mit anpacken, aber er war bereits fertig. Seine Mutter hatte ihm nicht geholfen, sondern saß, wie immer, in der Küche, Anna Karenina vor der Nase. Sie tranken mit ihr eine Tasse Kaffee und aßen Isabelles geliebte Rosinenschnecken, die Jon extra von Bäcker Voss geholt hatte.
    «Good old times, hä?» sagte er und goß allen Kaffee in die Tassen.
    Hanna Rix wirkte seltsam auf Isabelle. Ihre einst hochtoupierten Haare sahen aus wie zusammengefallen und lagen glatt am Kopf. Sie trug nicht mehr wie damals knallige Farben, sondern ein weites Kleid, dessen Blau so blaß und stumpf war wie ihre Haut. Sie lächelte nicht, sie sprach kaum etwas, doch sie hörte zu wie aus einer fernen Welt. Fast die ganze Zeit während des Besuchs sah sie Isabelle an, als wollte sie sich jeden ihrer Züge und jede ihrer Gesten einprägen, eine Erinnerung an sie mitnehmen wie auf eine große Reise. Zum

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