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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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ihren Becher leer. «Ich bin sicher, er hatte mich in seinem Testament bedacht. Aber sein Sohn ... nun ja. Muß ich halt arbeiten, bis zur Rente. Das müssen viele. Und so weit ist es ja nun nicht mehr bis dahin.» Sie stand auf. «Das einzige, was ich von ihm habe, ist dies.»
    Alma hielt Isabelle ihre rechte Hand hin. Am Finger steckte ein Ring mit zwei sehr, sehr großen Perlen, einer schwarzen und einer weißen. «Sie sind ein begabtes Mädchen. Ein hübsches dazu. Man wird Ihnen zu Füßen liegen. Das Leben wird Sie verwöhnen. Aber trauen Sie dem Schicksal nicht. Niemals. Seien Sie immer auf der Hut, ruhen Sie sich nicht aus auf Ihrem Glück. Und vergessen Sie vor allem eines nie: Wem viel gegeben wird, dem wird auch viel genommen!»

Kapitel 8
    Jon! Obwohl Isabelle und Jon sich regelmäßig geschrieben und auch häufig miteinander telefoniert hatten, waren sie sich in all den Jahren, in denen aus den zwei Kindern erwachsene Menschen geworden waren, nur zweimal begegnet. Einmal am Anfang der Hamburger Zeit, als Ida mit ihrer Tochter, aus Anlaß von Hermanns Todestag, nach Luisendorf gefahren war. Sie hatten in Schmidts Gasthof übernachtet und waren an einem kalten, regnerischen Maitag auf den Friedhof gegangen, der, so dachte Isabelle bei sich, auf geradezu unheimliche Weise gewachsen war. Die Hecken, die die Anhöhe umschlossen, waren gewachsen, die Bäume waren gewachsen, die Zahl der Grabstellen und mit ihnen die schnurgerade gezogenen Kieswege. Ida hatte einen grauen Regenmantel an und darunter ein nachtblaues Tuchkleid. Noch immer ging sie auf Friedhöfe wie verkleidet. Sie zog sich «für gut» an, schien den Toten auch auf diese Weise Respekt zu zollen und den Lebenden zeigen zu wollen, wie ernst und wichtig sie die Pflicht der Grabpflege nahm. Gretel hatte ihr geraten, das neue Blumengeschäft an der Hauptstraße damit zu beauftragen. Aber Ida hatte eine andere Vorstellung: «Solange ich es kann, will ich das für Hermann tun.» Regelmäßig nahm sie die Strapaze auf sich, mit dem Zug von Hamburg nach Luisendorf zu fahren und nach dem rechten zu sehen. Im Winter, nach den dunklen Novembersonntagen, deckte sie das Grab mit Tannenzweigen ab und legte ein künstliches Gesteck, gekrönt von einer weiß leuchtenden Christrose, darauf. Im Frühjahr wurden die Zweige entfernt, die Erde mit einer kleinen Harke, an deren anderem Ende sich eine Schaufel befand, aufgelockert, die braunen Blätter der Efeueinfassung herausgezupft und Stiefmütterchen gepflanzt, gelbe und violette, mit großen Blüten, wie Schmetterlinge, die jeden Moment davonflattern konnten. Danach kam die Zeit der Vergißmeinnicht, später die der Geranien, die lange blühten, fast bis zum Ende des Oktobers.
    «Hier will ich später auch liegen, Kind!» erklärte Ida ihrer Tochter und bückte sich mit durchgedrückten Knien, um eine der Friedhofsvasen aus Plastik, die hinter dem Grabstein lagen, hochzunehmen und mit der Spitze in die Erde zu bohren. Sie steckte den Strauß Lilien, den sie mitgebracht hatte, hinein. Isabelle mußte aus dem Brunnen an der Kirchhofmauer mit einem Eimer, der dort immer über dem Schwengel der Handpumpe hing, Wasser holen. Dann zog Ida aus ihrer Reisetasche eine Scheuerbürste und ein Stück Kernseife. Während ihre Tochter das Wasser in einem Rinnsal über den Stein laufen ließ, putzte Ida die Inschrift frei von dem grünspakigen Bewuchs. Hermann Corthen, unvergessen ...
    Isabelle haßte diese Prozedur. Sie mochte keine Friedhöfe, sie mochte nicht am Grab ihres Vaters stehen, wollte nicht an seinen Tod erinnert werden und glaubte auch nicht daran, daß er irgendwo weiterlebte, im Himmel, wie ihre Mutter behauptete. Als sie am Nachmittag dieses Tages – die Eltern Rix hatten sie und ihre Mutter zu Kaffee und Kuchen eingeladen – mit Jon den so heiß ersehnten Spaziergang zum Seerosenteich machte, sprachen sie darüber. Doch Jon war nicht ihrer Meinung. «Natürlich gibt es einen Gott.»
    Ein bißchen ärgerte sich Isabelle über Jons Ansichten, über seine romantischen Vorstellungen. Sie, die nun in der Stadt lebte, fühlte sich ihm überlegen. Das war etwas, was ihr früher nie bewußt geworden war. Wie weich Jon war, wie träumerisch. Sie hielt ihn für einen ziemlich naiven Landjungen, der Bücher verschlang, Gedichte rezitieren konnte, für die Natur schwärmte, aber ansonsten nicht viel darüber wußte, was in der Welt geschah. Isabelle hatte das Gefühl, sich nun wirklich von ihm entfernt zu haben. Doch

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