Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
sehen, was ich für Sie gezaubert habe! Setzen Sie sich, erzählen Sie, was macht das Unternehmen? Essen die Deutschen genügend Brot? Und die Töchter? Geben Sie die Hoffnung nicht auf, ich sage immer: Ganz gleich, was passiert, man darf nie aufhören zu hoffen. So. Das ist es. Was sagen Sie nun?»
Eine ganze Parade von Paradiesvögeln flatterte in jenen Tagen in den Salon herein, es war Puppe Mandels große Zeit. Die Schlichten, Strengen mit den glatten Zügen und den kinnlangen blonden Haaren, mit «Gummibandgesichtern», wie Alma lästerte, die einander so glichen, daß man sie nicht unterscheiden konnte. Hanseatinnen, die kaum Gefühle zeigten und niemals lächelten, und wenn, dann kieselkühl. Und die nichts anderes wollten als Kostüme, die ihre Seriosität unterstrichen und so aussahen wie ihre Trägerinnen – unauffällig, glatt, kalt. Sie waren die Frauen «rund um die Alster», erklärte Alma, «und links und rechts der Elbchaussee», die «Wasserfrauen», jene humorlosen Wesen, wie auch Charlotte eines war: Frauen, die ihre Persönlichkeit der Karriere ihres Mannes geopfert hatten.
Es kamen die Fröhlichen, Lauten, die weniger der Mode als des Klatsches wegen in den Salon rauschten, die Fachmännischen, Peniblen, die auf den Pfennig achteten und alles besser wußten. Es kamen Mütter, die für ihre Töchter zum ersten Ball oder zur Hochzeit ein Kleid anfertigen lassen wollten, Männer, die ihren Geliebten Verführerisches kauften, sogar Damen der Halbwelt, die bereit waren, eine ganze Sommerkollektion zu bestellen und dafür mehr Geld hinzulegen, als eine Schneiderin im Jahr verdiente.
Da war Frau Paulsen, eine einstige Schönheit, Gattin eines Autohändlers, die, eitel bis unter die Haarwurzeln und ständig gegen ihre schwäbische Herkunft und ihr Übergewicht kämpfend, um Anerkennung in der hanseatischen Gesellschaft rang, mit glitzernden Empfängen, Kaviarfrühstücken, Cocktailparties, zu denen sie jedesmal neue Kleider orderte, die ihr auch nichts nutzten. Man ging da einfach nicht hin.
Da war die reiche Reisende, die alljährlich ihren Schrankkoffer vorbeibringen ließ, damit ihre Abendgarderobe für die nächste Weltreise aufgearbeitet und aufgebügelt wurde. In dem müffelnden Monstrum entdeckte Isabelle dann zwischen prächtigen Gewändern benutzte Nachthemden, die sie mit spitzen Fingern herausnahm und schockiert Puppe zeigte. Zur Strafe («Unsere Kundin ist Königin, Isabelle, wir mokieren uns niemals!») mußte sie die schmutzigen Teile waschen.
Isabelle lernte im Laufe ihrer Lehrzeit, daß die Welt nicht durch Fakten bestimmt wurde, nicht durch Analysen, Sachlichkeit, Umstände, sondern ausschließlich von Gefühlen, von Sympathie und Antipathie, vor allem von Eitelkeiten. Dies war eine Erkenntnis, die sie später gut gebrauchen konnte, die ihr oft weiterhalf, wenn anscheinend nichts mehr ging.
Alma gab Isabelle einen Rat mit auf den Weg: «Sie müssen sich alles mit den Augen und Ohren abgucken!» Das tat Isabelle. Ohnehin hörte sie sehr auf die Direktrice. Alma hatte sie unter ihre Fittiche genommen, denn sie hatte sehr schnell erkannt, daß Isabelle über großes Talent verfügte. Darüber hinaus war das Mädchen ein Protegé von Carl Trakenberg, für den sie – wie so viele Frauen heimlich schwärmte. Sie sagte Isabelle eine große Karriere voraus und machte es sich zur Aufgabe, ihren Anteil daran zu haben.
Einen Teil ihrer Zuneigung zu Carl übertrug sie auf Isabelle. Sie förderte sie, direkt und auf eine Weise, die Isabelle eher als Schikane empfand. «Sitz gerade!» sagte sie ihr andauernd, wenn Isabelle hinter ihrer Nähmaschine saß und verzweifelt versuchte, einen Faden einzufädeln. «Das dauert viel zu lange!» – «Beeil dich.» – «Zeig mir deine Arbeitsproben!» Isabelle mußte Nähgarne und Zeitschriften sortieren und Messingknäufe an den Treppengeländern polieren, zur Frühstückspause Brötchen kaufen und Zigaretten und Tampons für die Gesellinnen. Morgens hatte sie die Aufgabe, Wassereimer heranzuschleppen und neben die Bügeltische zu stellen, Lappen darin einzutauchen und auszuwringen, so kräftig, daß sie nicht mehr tropften, und doch so sanft, daß sie feucht genug blieben, damit sie beim Bügeln als Auflage zum Dämpfen der Kleidungsstücke taugten. Abends kriegte sie einen runden Blockmagneten in die Hand gedrückt und den Auftrag, im gesamten Atelier, auf den Knien rutschend, die Stecknadeln einzusammeln. Doch damit nicht genug. Alma befahl ihr,
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