Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Mitarbeiterin, die angeblich der Konkurrenz Betriebsgeheimnisse verraten hatte, gegen zahlungsunwillige Kundinnen und schlampige Lieferanten. Gegen einen Architekten, der ihr Haus auf Sylt verbaut hatte, strengte sie einen Prozeß an wie gegen einen Verkehrspolizisten, der sie nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung beleidigt hatte. Puppe hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, vor allem wenn es um ihre eigene Person ging. Die Zahl der Ordner, in denen die Prozeßdokumente untergebracht waren, schien unüberschaubar; Puppe hatte sie in Regalen in ihrem Büro untergebracht und sprach – hoch zufrieden – mit Blick auf die Akten von ihrer «Klagemauer». Sie war stadtbekannt für diese seltsame Leidenschaft, aber weil sie ein gutes Herz und vor allem Humor hatte, verzieh man ihr die Streitlust und tat sie als Marotte ab.
Als die Oper zu Ende war, schien auch das Abendkleid für die Fürstin fertig zu sein. Isabelle erhielt den Auftrag, das Schlachtfeld im Showroom zu beseitigen. Puppe rauschte ab nach oben. Doch der Weg von der Idee zur Robe war weit. Alma nahm das Nesselmodell von der Schneiderpuppe herunter und brachte es ins Atelier, wo eine der Gesellinnen den Entwurf auf Papier übertrug. Auf diese Weise entstand das Schnittmuster. Nach dem Schnittmuster wurde der sogenannte Prototyp angefertigt, zunächst aus billigerem Ersatzstoff. Dann folgte die erste Anprobe, danach kamen die Änderungen. Schließlich, nach unzähligen Veränderungen und Verbesserungen, wurde das Kleid aus dem Stoff genäht, den die Kundin ausgewählt hatte. Wie ein Juwel wurde das fertige Teil behandelt: gedämpft, gebügelt, gestreichelt, unter schützender Hülle in den Schrank gehängt und am Ende, wenn die Kundin es ein letztes Mal vor dem Abholen anprobierte, bei einem Glas Champagner und mit einer segnenden Geste Puppe Mandels freigegeben für den ersten großen Auftritt in der Hamburger Gesellschaft.
Isabelle lernte bei dieser Gelegenheit – es waren mittlerweile zwei Monate vergangen – auch die Fürstin kennen. Sie glaubte bis dahin, zumal sie gehört hatte, die Kundin käme mit Chauffeur und Limousine aus dem Sachsenwald angereist, es handele sich um eine Frau von Adel, eine von Bismarck gar. Doch in Wahrheit hieß sie Frau Fürst, und Fürstin war nur ein Spitzname, den Alma ihr gegeben hatte, weil sie sich feiner gab, als sie war. Sie sei der Typ, erklärte Alma Isabelle, der «schwer aufgerüscht» auf den Markt ging, eine korbtragende Haushälterin an ihrer Seite, mit einem brillantenschweren Ringfinger auf grüne Heringe zeigte und mit lauter Stimme um ein paar Groschen feilschte.
Tatsächlich fegte sie eines Tages herein, im pinkgrellen Puppe-Mandel-Plisseekleid und mit wogendem weißem Sommerhut, auf dem Klatschmohn und Kornblumen wucherten, fächelte sich mit einem Heft der Zeitschrift Quick Luft zu, warf sich auf die Chaiselongue im Showroom und scheuchte alle zusammen, gehetzt von der Sucht nach Aufmerksamkeit und Liebe. Sie war verwitwet und hatte die Brotfabrik ihres Mannes geerbt, die sie zu neuer Blüte führte. Ihre beiden Töchter hatte sie an zwei nicht studierende Studenten verloren, deren größte Taten bislang darin bestanden hatten, in einem Hamburger Verlagshaus die Fensterscheiben einzuschmeißen. Seither war die Fürstin an der Welt verzweifelt, hatte ihre Kinder enterbt und sich in die Arme ihres Geschäftsführers geflüchtet, der sie ausbeutete wie eine südafrikanische Goldmine. Alma mußte ihr, kaum daß sie sich gesetzt hatte, die Füße massieren, Isabelle ihr Mineralwasser bringen. Sie fragte nach einem Käffchen, nach einem Telefonapparat, sie ließ sich Modejournale heranschleppen und erkundigte sich nach den neuesten Trends, vor allem aber gierte sie darauf, endlich Puppe Mandel selbst zu sprechen.
Doch die ließ sich Zeit. Sie kannte ihre Pappenheimer. Wie alle, die erfolgreich einen Beruf ausüben, bei dem sie mit Menschen umgehen, verstand Puppe das Einmaleins der Eitelkeiten perfekt. Sie konnte sich entziehen, die Kundin zappeln lassen, dann über sie hereinbrechen wie eine Naturgewalt, kraftvoll, schön, mitreißend. Den Schneewittchen-Kampf «Wer ist die Stärkere?» gewann Puppe immer. Spät, sehr spät, aber eben nicht zu spät, betrat sie majestätisch den Showroom, mit ausgebreiteten Armen, und sprach mit ihrer schönen, tiefen Stimme: «Frau Fürst! Wie schön, Sie hier zu haben! Blendend sehen Sie aus, meine Liebe! Und wenn Sie jetzt erst ... Alma, die Kreation! ...
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