Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Rum und Wodka, Chips, Erdnüsse und Salzstangen. Er hatte seinen Dual-Plattenspieler heruntergebracht, mit einem Kumpel gewaltige Boxen aufgestellt, farbige Glühbirnen in die Kellerlampen gedreht und alte Matratzen auf dem Boden ausgebreitet. Es wurde gequalmt und getrunken, was das Zeug hielt, geredet, gelacht, getanzt, geknutscht. Später machten Joints die Runde. Zu Beginn des Abends dröhnte Philly Sound durch die Kellerräume. Dann legte Jons Freund, der den Discjockey gab, die Stones auf, Procol Harum, Roxy Music und Santana mit Black Magic Woman. Isabelle frischte alte Bekanntschaften auf, lernte neue Leute kennen, Jungs vor allem, die sich darum rissen, mit ihr zu tanzen.
Jon beobachtete sie fortwährend, obwohl er so tat, als wäre er mit sich und seinen Kumpels beschäftigt. Dann passierte etwas Überraschendes für Isabelle. Sie stand atemlos gegen eine Wand gelehnt, hatte eine Pause eingelegt und trank hastig aus einem Glas Cuba Libre, den Jons bester Freund und früherer Klassenkamerad ihr gemixt hatte. Aus den Lautsprechern brandete Beifall auf, ein Pfeifkonzert von begeisterten Zuhörern, das sofort abschwoll, als ein Klavier zu spielen begann. In diesem Augenblick drängelte sich Jon durch das Gewühl, kam auf Isabelle zu und zog sie wortlos mit sich unter die Tanzenden. Diese waren, eben noch stampfend, Arme werfend, Haare schüttelnd, nun zu Paaren verschmolzen, und auch Jon legte seine Arme um Isabelles Hüften und begann mit ihr zu tanzen.
Sanft sangen Simon & Garfunkel von Freundschaft, die einer Brücke über einem reißenden Fluß gleicht:
When you're weary, feeling small,
When tears are in your eyes, I will dry them all;
I´m on your side. When times get rough
And friends just can't be found,
Like a bridge over troubled water ...
Isabelle schlang die Arme um Jons Hals, schmiegte ihre Wange an sein Gesicht. Er roch nach Vanille und nach Pfefferminze. Sein Haar war weich und kitzelte an ihrem Hals. Der Griff seiner Hände war fest, bestimmend und doch einfühlsam. Mit den Fingern fuhr er langsam an ihrem Rückgrat hoch, den Druck verstärkend, bis er an ihrem Hals angelangt war, und dann drehte er ihren Kopf so, daß sie seinen Lippen ganz nah kam. Sie sahen sich an, blieben stehen.
I will lay me down.
Like a bridge over troubled water ...
Isabelle war wie von einem Zauber gebannt. Sie konnte den Blick nicht von ihm lassen. Seine Augen waren wie ruhige, tiefe Seen, in denen sie versinken wollte. Sie wünschte, er würde sie küssen.
«Komm», flüsterte er ihr ins Ohr.
Wieder zog er sie hinter sich her, Hand in Hand gingen sie aus dem Raum, den Kellergang zwischen knutschenden Pärchen entlang, über die Steinstufen hinauf in den Flur und dann hinaus, auf den Platz vor der Dorfschule, unter die Kastanie, die noch gewaltiger als früher wirkte. Ohne ein Wort zu sagen, schob Jon Isabelle gegen den Baumstamm und küßte sie. Er küßte ihre Lippen, die sich langsam öffneten, er küßte ihre Wangen, ihre Stirn, ihre Nasenspitze, und sie mußte lachen.
Wind kam auf. Die Kastanie blähte sich, ihre Blätter raschelten. Leidenschaftlich erwiderte Isabelle Jons Küsse und Umarmungen.
Es war eine rabenschwarze Nacht. Eine Bö fegte über den Platz. Die Lampe, die das Schulportal erleuchtete, quietschte im Wind. Aus dem Keller stampften gedämpfte Rhythmen. In der Ferne fuhr ein Zug vorbei. Einen langen Moment konnte man sein immer leiser werdendes eintöniges Rattern verfolgen. Ein Hund bellte nervös. Isabelle und Jon merkten von alledem nichts. Atemlos glitten ihre Hände über den Körper des anderen, suchten die Haut, die Wärme, das Weiche, die Härte.
Plötzlich fiel die Eingangstür ins Schloß. Sie hielten inne, Jon drehte sich um. Seine Mutter, die ein Nachthemd und Hausschuhe trug und sich nur einen Mantel über die Schultern gelegt hatte, blieb sekundenlang oberhalb der Stufen stehen, als müsse sie sich erst orientieren. Dann eilte sie herunter, auf ihren Sohn und seine Freundin zu. Der Wind wehte jetzt stärker, ein Grollen rollte über ihre Köpfe hinweg. Der Mantel, das Nachthemd, die Haare: Hanna Rix schien davonfliegen zu wollen. Sie lief grußlos an den beiden vorbei. Man konnte in der Dunkelheit nicht ausmachen, ob sie sie nicht gesehen hatte oder nicht hatte sehen wollen. Wie ein Geist schwebte sie davon.
«Gott, habe ich mich erschrocken», sagte Isabelle. «Wo will sie denn hin?»
«Das macht sie jeden Abend. Sie verschwindet, sie taucht nach einer Stunde wieder
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