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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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das Eisentor und hoffte ... er wußte nicht einmal genau, was. Doch nichts geschah.
    Dann lernte Jon auf dem Campus Hellen kennen. Sie erinnerte ihn ein wenig an Isabelle. Sie war hübsch und blond und fröhlich, hatte Intelligenz und Herzenstiefe, liebte ebenso wie Jon die Natur, interessierte sich für Literatur, Musik und Malerei. Vor allem aber studierte sie, genau wie er, Medizin, und die beiden verbrachten fortan ihre Zeit im Hörsaal und über den Fachbüchern gemeinsam. Sie verliebten sich ineinander.
    Hellen stammte aus dem kleinen friesischen Fischerdorf Dangast, wo sich einst viele Maler getummelt hatten (als sie acht Jahre alt war, hatte der Maler Franz Radziwill ihr im Schwimmbad gesagt, sie habe süße, knuddelige Beine, seither schwärmte sie für den Surrealismus) und das dann zu einem bekannten Badeort geworden war. Ihre Mutter war Holländerin, ihr Vater stammte aus dem nahe gelegenen Städtchen Varel und besaß drei Krabbenkutter, von denen er mit einem selbst auf die Nordsee hinausfuhr und fischte. Gemeinsam hatten sie sieben Kinder, Hellen war die Älteste. Da sie früh Verantwortung für ihre Geschwister hatte übernehmen und ihrer Mutter zur Seite stehen müssen, war sie ein praktisch veranlagter, pflichtbewußter und zupackender Mensch und außerdem ein Familientier. Sie liebte es, viele Menschen um sich zu haben, sie pflegte ihre Freundschaften und war hilfsbereit, wann immer man ihre Hilfe brauchte. Für Jon war es ein wunderbares Gefühl: Auf einmal hatte er, der Kümmerer, jemanden an seiner Seite, bei dem dieser Wesenszug noch ausgeprägter war als bei ihm. Doch zu Hellens handfester, erdverbundener Seite kam eine flirrende, heitere, manchmal sogar verrückte, die ihn ebenso faszinierte. Hellen wäre gern Schauspielerin geworden, so wie er Schriftsteller, und an manchen Abenden dachten sie sich kleine Stücke aus, sie spielte ihm eine Rolle vor und versuchte, ihn zum Mitmachen zu bewegen. Nicht nur zu Hause in Jons Bude, sondern auch nachts auf der Straße oder in einer der Kneipen, in denen sie bis in die Puppen herumsaßen und alberten.
    Hellens Geschmack war auf unerklärliche Weise auffällig, nicht schrill, sondern eher derb, und Jon brauchte Zeit, sich daran zu gewöhnen. Sie haßte ihre glatten Haare und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sie einzudrehen, wann immer die beiden vorhatten auszugehen. Stundenlang lief sie dann mit ihren Lockenwicklern in den Haaren oder einem Lockenstab in der Hand herum. Sie war keine Schlampe, pflegte aber konsequent ihren eigenen Stil. Locken wollte sie haben, Wellen, weiches, feminines Haar, das perfekt sitzen mußte, notfalls durch Einsatz mehrerer Liter Haarspray. Sie tuschte sich die Wimpern schwarz und bog sie mit einer Wimpernzange hoch. Ihren Mund schminkte sie kirschrot, ihre holländischen Apfelbacken, wie Jon die ausgeprägten, stets leicht geröteten Wangen nannte, gab sie mit Farbe eine zusätzliche Intensität. Anfangs benutzte sie zu ihren blauen Augen auch noch blauen Lidschatten, aber das redete Jon ihr aus. Hellen trug meist enge Jeans und dazu stets hochhackige Schuhe – sommers Korksandalen mit dicken Blockabsätzen und schwarzen Lackriemchen, die ihre feuerroten Fußnägel besonders gut zur Geltung brachten, winters Pumps in sämtlichen Pastellfarben. Sie liebte Fußkettchen und Armkettchen aus Silber, fein wie Engelhaar. Zu engen, kragenlosen Rippenpullovern knotete sie große Seidentücher um den Hals, Kopien berühmter Marken wie Chanel oder Hermès – das sei das Französische an ihr, erklärte sie. Ihre Parfüms mußten süß und schwer sein, Zurückhaltung legte sie auch da nicht an den Tag: «Sonst kann ich es ja gleich lassen!»
    Als Hellen, die ein Jahr älter als Jon war, ihm gestand, daß sie ein Kind erwarte, war er glücklich. Sein Leben hatte für ihn eine erfreuliche Wende genommen. Er heiratete Hellen. Die Zeremonie auf dem Standesamt in Altona war schlicht. Anders wollten sie es nicht, was besonders Hellens Eltern enttäuschte, die ansonsten mit der Wahl ihrer Tochter hoch zufrieden waren. Zwei Kommilitonen neugewonnene Freunde –, Hellens Eltern, drei ihrer Schwestern sowie Jons Vater waren die einzigen Gäste.
    Hellen brach ihr Studium ab, und das Ehepaar bezog eine Altbauwohnung, die auch für eine dreiköpfige Familie ausreichend Platz bot. 1973 wurde ihr Kind geboren. Es war ein Junge. Hellen wollte ihn Boy nennen. Jon fand das albern und plädierte für Philip. Sie hatten ihren ersten – und

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