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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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der Vergangenheit, glaubte Hellen, müsse man nicht verscheuchen. Man müsse sich ihnen nur stellen. Isabelle, das war ihr klar, war so ein Stück Vergangenheit, mit dem jede Frau an der Seite eines Mannes leben muß. Hellen hatte beschlossen, Isabelle auf diese Weise die Hand zu reichen. Sie schickte ihr Jon. Jon war ein Helfer. Wenn es ihm gelang, Isabelle in ihrer Lebenskrise zu helfen, würde er zufrieden zurückkehren. So einfach lag die Geschichte für sie.
    Und so einfach war sie auch. Schon eine Woche später machte er sich, ohne daß Isabelle etwas davon ahnte, mit seinem knatternden VW-Käfer auf den Weg von Hamburg nach Paris, aufgeregt und gleichzeitig besorgt, sie wiederzusehen.

Kapitel 15
    Carl Trakenberg, der nichts von Isabelles Sorgen und Nöten wußte oder ahnte, hatte ihr einen Brief geschrieben und, um ihr eine Freude zu machen und ihr zu zeigen, daß er inzwischen keinen Groll mehr gegen sie hegte, einen kleinen Scheck beigefügt. Seine Zeilen waren knapp, aber herzlich, und er verkniff sich darin nicht die Bemerkung, daß sie diesen finanziellen Zuschuß sicher nicht mehr benötige, weil sie mittlerweile den Olymp erklommen habe.
    Isabelle konnte darüber nur bitter lachen. Das Gegenteil war der Fall. Remo war weg. Weder hatte sie ihm erzählt, daß sie ihren Job bei Monsieur Yves Morny verloren hatte, noch das Thema New York erneut berührt. Isabelle hatte einfach keine Lust mehr, mit ihm zu streiten. Reisende soll man nicht aufhalten, hatte Gretel immer gesagt, und das stimmte. Isabelle hatte ihn nicht einmal auf die Sache mit Christin angesprochen. Ihr Stolz war größer als ihre Neugierde und ihre Wut.
    Ein paarmal hatte Christin auf verschiedenen Wegen – Remo und Isabelle hatten keinen Telefonanschluß – versucht, sie zu erreichen, um sich von ihr zu verabschieden, aber Isabelle hatte es geschickt verstanden, eine Begegnung zu vermeiden.
    So war sie plötzlich auf sich allein gestellt. Sie schwankte zwischen zwei Gefühlen: aufgeben oder weitermachen? In Paris bleiben oder zurück nach Hamburg gehen? Sie konnte schon hören, wie sich alle die Mäuler zerrissen. Sie ahnte schon, was ihre Mutter sagen würde. Nein, diese Niederlage wollte sie nicht erleben. Und was hätte sie schon in Hamburg tun können? Mit Puppe Mandel hatte sie es sich verdorben. Carl Trakenberg, ihr Förderer, hatte seine Enttäuschung über sie auch noch nicht überwunden, das merkte man schon aus dem spöttischen Ton seines Briefes. Der würde auch nichts mehr für sie tun. Sie war eine gescheiterte kleine Schneiderin, die zu große Rosinen im Kopf gehabt hatte. Wer sollte ihr in Hamburg Arbeit geben, ihr Talent noch fördern wollen? Isabelle entschied sich, weiter in Paris ihr Glück zu versuchen.
    Es war Oktober, und das Glück ließ auf sich warten. Mehr noch: Es ging Isabelle mieser und mieser. Sie fühlte sich vollkommen kaputt, sie schleppte eine Grippe mit sich herum, das Wetter war schlecht, das Geld ging zur Neige. Sie hatte einen Job in der Brasserie gefunden, die ihre Stammkneipe gewesen war. Der Wirt war ein mürrischer Choleriker, aber er half ihr. Für ein paar Francs arbeitete sie zwei Tage die Woche als Aushilfe in der Küche, spülte das schmutzige Geschirr, servierte ab und zu, wenn der alte Kellner ausfiel, an Tischen, an denen sie früher gesessen und gegessen hatte. Doch das, was sie verdiente, reichte nicht, um die Miete und ihren Lebensunterhalt zu zahlen. Mittlerweile ernährte Isabelle sich nur noch von dem, was in der Küche der Brasserie für die Angestellten abfiel. Bei Madame mußte sie zu Kreuze kriechen, um einen Aufschub zu bekommen. Seit drei Monaten war sie nun schon mit der Miete im Rückstand.
    Es regnete seit Tagen. Isabelle registrierte nur noch die häßlichen Seiten der Stadt. Alles war grau, schwarz, eintönig und naß. Sie hatte keinen Regenschirm mehr, irgendwann einmal hatte sie ihn irgendwo stehenlassen. Einen neuen zu kaufen, konnte sie sich nicht leisten, also ging sie vollkommen ungeschützt durch die Stadt. Sie fühlte sich wie einer der Clochards, die Paris zu Hunderten bevölkerten, entlang der Seine, in den Parks, auf den Boulevards, unter den Brücken. Für Isabelle waren sie nun nicht mehr die pittoresken Figuren, die mit einer Rotweinflasche in der Hand, zahnlos und unrasiert, in Gruppen zusammenhockten und diskutierten und die Klischeevorstellungen von Paris anreicherten. Sie waren arme Schweine wie sie selbst.
    Als sie an diesem Abend über die Brücke zur

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