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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Paris. Sie war wütend und verzweifelt. Und bei alledem beschlich sie ein komisches Gefühl, daß die Geschichte irgendwie zum Himmel stank.
    Sie versuchte erneut, ihn zur Rede zu stellen. Doch es war zwecklos. Nachdem sie eine Weile mit ihm weitergestritten hatte, gab sie auf. Es war nicht so, daß ihr die Argumente ausgegangen wären, daß sie ihm nicht noch mehr Vorwürfe an den Kopf hätte knallen können oder daß sie schwieg, weil sie beleidigt gewesen wäre. Nein, sie redete nicht weiter, weil sie sprachlos war, weniger durch das, was er sagte, als dadurch, wie er es sagte. Sie spürte auf einmal eine zutiefst männliche Eigenschaft in ihm: Gleichgültigkeit. Alle Tränen, alle Wut und alle Verzweiflung wären an ihm abgeprallt, hätten Remo nicht mehr berührt. Er hatte nur noch sich selbst im Kopf und sein Ziel vor Augen. Dies war die Art, wie man seine Interessen durchsetzte, Erfolge machte. Er wollte nach New York. Alles andere war ihm egal.
    «Isch bin eine Kackwurst!» flötete Madame Fillettes Isabelle amüsiert ins Ohr und holte sie damit wieder in die Wirklichkeit zurück. Neben ihr standen der Modeschöpfer und seine Direktrice und sahen ihr bei der Arbeit zu. Isabelle nickte ihnen höflich zu. Monsieur Yves Morny nahm den Ärmel der weiten, langen kragenlosen Abendjacke aus dicker Seide und betrachtete ihn. Isabelle unterbrach ihre Arbeit. Madame Fillettes, die mittlerweile den Hund des Modeschöpfers in den Armen hielt, erklärte ihrem Chef fröhlich plaudernd, was sie über die Näherin aus Deutschland wußte. Er nickte nur und nahm dabei die Jacke hoch. Zufrieden drehte und wendete er sein Werk. Dann hielt er inne und runzelte die Stirn. Er gab die Jacke ohne Kommentar an die Direktrice weiter, strich sich mit dem Zeigefinger und dem Daumen der linken Hand über sein Menjoubärtchen und sah Isabelle streng an. Sie hatte das Gefühl, wieder in der Schule von Luisendorf zu sitzen und vom Lehrer Rix eine schlechte Arbeit zurückzubekommen.
    Die Direktrice zog eine Augenbraue hoch. Madame Fillettes versuchte am Modeschöpfer vorbei einen Blick auf die Jacke zu erhaschen. Die beiden Stickerinnen, die vor Isabelle saßen, hörten auf zu arbeiten und guckten neugierig herüber. Monsieur Yves Morny kräuselte die Lippen. Das schien nichts Gutes zu bedeuten. Erschrocken sah Madame Fillettes Isabelle an, und ihr Blick schien zu sagen: «O Gott, chérie, wir sind beide eine Kackwurst!»
    Der Modeschöpfer zog mit einer wehenden Geste der Direktrice die Jacke aus den Händen und ließ sie mit spitzen Fingern auf Isabelles Tisch fallen. Dann tippte er wortlos auf den kleinen Bogen, den der Stiel der roten Nelke auf dem Stoff zog. Isabelle wußte nicht, was er meinte, und sah ihn fragend an. Stumm tippte er erneut auf dieselbe Stelle. Isabelle beugte sich vor. Nun sah sie es: Zwischen all die roten Perlen hatte sich eine vorwitzige in Rosé geschlichen, unbemerkt von Isabelle. Charmant versuchte sie mit einem angedeuteten Lächeln und Schulterzucken zu signalisieren, daß so etwas passieren könne. Doch an seiner strengen Miene merkte sie, daß es eben nicht passieren durfte.
    Madame Fillettes legte entsetzt eine Hand vor den Mund, so als habe sie soeben einen Mord entdeckt.
    Schon zwei Stunden später erhielt Isabelle durch die Direktrice ihre Kündigung. Sie habe schlampig gearbeitet. Die Wahrheit war natürlich, daß Monsieur Yves Morny keine Deutsche in seinem Atelier dulden wollte. Widerspruch war zwecklos, das wußte Isabelle. Sie packte die wenigen Sachen, die sie im Laufe der Zeit mit auf die Galeere gebracht hatte, verabschiedete sich von den Kolleginnen, die mitleidlos weiter ihre Pailletten und Perlen aufstickten, und verließ das Atelier.
    Als sie wenig später ihre Wohnung betrat – es war früh am Abend und sie war seit Monaten nicht mehr so zeitig nach Hause gekommen –, warf sie sich aufs Bett und weinte. Sie weinte, weil sie sich ungerecht behandelt fühlte. Sie weinte, weil Remo nach New York gehen und sie allein zurücklassen würde. Sie weinte, weil sie erschöpft war. Vor allem aber, weil sie das Gefühl hatte, ihr Leben nicht mehr selbst zu steuern, sondern von einem unnachgiebigen Schicksal gelenkt zu werden. Die Zukunft erschien hoffnungslos.
    Die Tränen verschafften ihr Erleichterung. Sie ging ins Badezimmer, wusch sich ihr Gesicht, schluckte eine von den Tabletten, die ihr Christin vor längerer Zeit gegen schlechte Laune dagelassen hatte, und kam ins Zimmer zurück. Am Fenster

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