Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Salatblätter. Gretel rührte in einer Tasse Olivenöl mit Kräuteressig, Salz und Pfeffer zu einer Vinaigrette an.
«Alles für dich, Kind», sagte sie und schmeckte die Sauce ab, «alles für dich.»
In einem Aufwallen der Gefühle sprang Isabelle von ihrem Stuhl auf, stürzte auf Gretel zu und knutschte sie ab. Gretel lachte. Dann wurde sie ernst.
«Hast uns Kummer gemacht. Vor allem deiner Mutter.»
«Ich weiß.»
«Sie ist nicht sehr gesund.»
«Ich weiß, Gretel.»
«Und du bist kein Kind mehr!»
Ehe Isabelle antworten konnte, ging die Tür auf. Ida kam herein. Sie ging an den Spülstein in der Ecke, goß den Rest Seifenlauge aus und stellte den leeren Eimer umgedreht in das Becken. Ihren Schrubber lehnte sie dagegen. Sie wusch sich die Hände, trocknete sie an einem Handtuch ab und kam zu ihrer Tochter.
«So, nun will ich dir mal anständig guten Tag sagen, Isaken.» Sie nahm ihre Tochter in den Arm und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Dann drehte sie sich zu ihrer Freundin um. «Na, hier wird ja gemacht und getan ...» Sie lächelte Isabelle an. «Wie für 'n Staatsempfang, was?»
«Ich bin so froh, wieder hier zu sein!»
«Wasch dir die Pfoten, und dann können wir essen!» bestimmte Gretel.
«Ich muß erst noch mein Gepäck reinholen, es ist noch draußen auf der Straße.»
«Aber beeil dich ...»
Isabelle verließ die Küche. Ida setzte sich an den Tisch.
«Na, bist du jetzt froh?» fragte Gretel.
«Ja. Sehr.»
«Na, siehst du, ich hab dir das immer gesagt: Am Ende wird alles gut.»
«Bloß – was kommt nun, Gretel, was kommt nun?»
«Nun kommt erst mal 'ne schöne Suppe und dann Braten mit Salat und Gemüse und Kartoffeln, und du deckst den Tisch.»
Ida tat, wie geheißen. Die Frauen plauderten in fröhlicher Stimmung. Sie sprachen über den Herbst, der so kalt war, daß es letzte Nacht sogar schon Bodenfrost gegeben hatte, sie sprachen darüber, wie schmal und wie erwachsen Isabelle geworden war, sie sprachen über Jon, bei dem sich Ida demnächst mit einer Einladung zu Kaffee und Kuchen bedanken wollte. Als Isabelle nach einer Viertelstunde immer noch nicht zurückgekommen war, ging ihre Mutter hinaus, um nach ihr zu sehen. Sie fand sie auf dem Weg zum Haus. Isabelle lag am Rand des Rasens, ihre Sachen waren um sie herum verstreut. Sie war zusammengebrochen.
Totale Erschöpfung und eine Grippe mit einer beginnenden Lungenentzündung konstatierte der Arzt, der sofort gerufen worden war. Er verschrieb starke Medikamente und verordnete Bettruhe. Für Isabelle begann eine Zeit des Umsorgtseins und der Genesung. Sie lag im Bett ihres ehemaligen Kinderzimmers, in dem noch immer das Pferdeposter an der Wand hing und die bunten lackierten Laubsägearbeiten, die Aschenputtel in ihrer Kutsche zeigten und ein Mädchen im Sommerkleid, das an einer Sonnenblume schnupperte, die ebenso groß war wie sie selbst. Isabelle schlief lange, traumlos und tief. Ihre Mutter machte ihr – wie zu Kinderzeiten – Schwitzpackungen und Wadenwickel, maß zweimal am Tag Fieber, brachte ihr Obst und Pfefferminztee ans Bett und verabreichte ihr Hustensaft, Tabletten und selbsteingekochten, heißen Fliederbeersaft mit Honig und Zitrone. Im Gegensatz zu früher genoß Isabelle diese Art der Krankenpflege.
Gretel wollte dabei nicht zurückstehen. Sie kochte, was immer Isabelle sich wünschte. Königsberger Klopse. Eintopf mit Fleischklößchen. Grießpudding mit Pflaumensauce. Rote Grütze. Stundenlang saß sie am Fußende und erzählte Isabelle Geschichten, die sich in den vergangenen Monaten und Jahren zugetragen hatten. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie, daß Vivien Trakenbergs Verlobter jener junge Mann war, den sie einmal in Carls Kontor getroffen hatte – Peter Ansaldi. Carl hatte ihn zu seinem Partner gemacht. Mit Stoffen ließ sich nicht mehr viel verdienen, seit Kunden direkt von den Fabriken aus England, Italien oder Frankreich, aus Thailand, Indien und China beliefert wurden. Carls künftiger Schwiegersohn hatte eine Tüte voller Ideen gehabt. Nun lieferte man Textilien für die Industrie – Netze, Planen, Jute, Plastik. Und auch in den Parfümhandel war Trakenberg eingestiegen. Mittlerweile liefen die Geschäfte besser denn je. Carl zog sich immer mehr aus dem Betrieb zurück. Er sei ja nie ein Fleißiger gewesen, sagte Gretel. Aber seit ihm die Freude genommen sei, in seinen Stoffen zu schwelgen, habe er überhaupt keine Lust mehr, zu arbeiten. Sie redete und schimpfte, beschwor, jammerte, lachte,
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