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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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hatte? Vielleicht dachte sie gar nicht mehr an Isabelle. Vielleicht aber doch: Wenn sie mit Remo da drüben in New York nachts im Bett lag und beide sich an Paris erinnerten, so wie sie jetzt.
    Ach, Remo. Was für eine Leidenschaft. Was für ein Irrtum. Manchmal grübelte Isabelle darüber nach, ob sie – vor dieselbe Situation gestellt – denselben Fehler noch einmal machen würde. Sie fürchtete ja. Und sie fragte sich, ob es wirklich so gut und richtig und wichtig sei, im Leben Fehler zu machen, weil man angeblich nur aus ihnen etwas lernte. Im Rückblick und bei Licht besehen hätte sie gern auf all ihre Fehler verzichtet. Sie hatten ihr nicht gutgetan. Sie waren Umwege gewesen, unnötige Umwege. Ohne sie, die Fehler und die Umwege, würde jetzt vielleicht Jon an ihrer Seite leben, und sie, Isabelle, wäre es, die mit ihm ein Kind hätte. Eine glückliche Familie. Wie kostbar, wie beneidenswert! Sie dachte an jenen Vorweihnachtstag zurück, an dem sie bei ihnen gewesen war. Die drei und ihr Zuhause. Das Heimelige, Geborgene. Aber auch: das Kleine, das Bürgerliche. Nein, dachte Isabelle jetzt und zog an ihrer Zigarette, ich würde ersticken. Ich würde verrückt werden, bei aller Liebe, ohne meine Freiheit. Ohne Hoffnung darauf, meine Träume verwirklichen zu können.
    Sie hörte ein Räuspern und drehte sich um. In der Tür zum Pavillon stand Carl.
    «Na», fragte er, «so allein, schönes Kind?»
    «Herr Trakenberg!» Sie lächelte. «Wie schön!»
    Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Teakholz-Gartenstuhl. «Was sagst du?» fragte er und lehnte sich mit ausgebreiteten Armen zurück, so daß seine geraffte Bauchbinde aus weißer Seide kräftig spannte. Es klang wie: Wie findest du mein Fest? Und in der Tat wollte er gelobt werden: «Meine Rede habe ich erst kurz vorher in meinem Schlafzimmer auf dem Bett geschrieben ... also, schnell runtergekritzelt. Dafür kam sie nicht schlecht an, nicht?»
    Isabelle lachte kurz und ehrlich auf. «Nein. Es waren wunderschöne Worte.» Sie mochte diesen Mann. Sie liebte seine Eitelkeit, sein einnehmendes Wesen, seine enorme Großzügigkeit, seine Fürsorglichkeit, sein Wissen, seinen Humor. Wie oft hatte sie sich gewünscht, er wäre ihr Vater. Wie oft hatte sie sich als junges Mädchen abends, wenn sie nicht einschlafen konnte, mit dieser Geschichte weggeträumt in den Schlaf: daß sie – nicht Vivien! – eine Trakenberg wäre, daß Charlotte von ihrem Mann geschieden wäre, daß sie allein mit Carl in dem großen Haus wohnen würde. Und mit Gretel.
    Das tat Isabelle noch heute – sich abends im Bett etwas Schönes ausdenken. Sie hatte noch nie jemandem davon erzählt, und sie wußte nicht, ob andere Erwachsene das auch taten. Für sie hatte sich in dieser Hinsicht nichts verändert seit den Kindertagen in Luisendorf, als sie ihr kleines rotes Köfferchen gepackt hatte, von ihrem Zimmer durch die Diele in die Küche gegangen war und so getan hatte, als wäre ihre Mutter da, von der sie sich nun leider verabschieden müsse: Ich fliege nach Hollywood, ich habe eine Hauptrolle in einem Film, ich werde berühmt. Und dann hatte ein imaginäres Telefon geklingelt, ein Regisseur hatte angerufen und ihr versprochen, er werde gleich seinen Fahrer vorbeischicken und sie abholen lassen.
    «Ich finde, mit dem Sie: das lassen wir mal ab heute!» erklärte Carl.
    Sie verstand nicht sofort. Er hielt ihr einen Aschenbecher hin, und sie drückte ihre Zigarette aus.
    «Ich bin doch nicht so ein oller Knochen, daß ich dich duze und du sagst immer noch Sie zu mir. Ich heiße Carl. Und so halten wir das ab jetzt.»
    Isabelle strahlte. «Aber dann auch einen Bruderschaftskuß!» Sie stand auf und kam zu ihm.
    «Seit wann denn so herzlich?»
    «Wie: herzlich?»
    «Du bist doch sonst immer so eine Spröde, oder?»
    Sie umfaßte sein Gesicht und küßte ihn impulsiv auf den Mund. Seine Lippen waren erstaunlich weich, seine Wangen rauh und fest. Er roch nach Knize Ten.
    «Soviel zum Thema spröde!» erklärte sie und sah ihm direkt in die Augen. «Carl.»
    «Du hast zuviel getrunken.»
    Sie nickte.
    «Ich auch», gab er zu.
    «Ich hatte so einen langweiligen Typen neben mir. Ich mußte mich betrinken!»
    «Ich mußte neben Charlottes Tante sitzen.» Er schmunzelte. «Sie ist hundert, taub und verrückt, sie hat mir erzählt, sie sei schwanger und häkele Babysachen, es würde ein Mädchen. Ich hab versucht, es ihr auszureden. Ich habe gebrüllt, damit sie mich versteht. Na ja. Zwecklos. Die

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