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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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In jeder freien Minute ergriff er das Messer und den Stein und wetzte und wetzte. Der Stahl wurde scharf wie eine Rasierklinge. Zwischendurch probierte der Koch das Messer an seinem Fingernagel aus und rasierte sich die Haare am Handrücken. Dann legte er es wieder auf den Stein und wetzte, wetzte, wetzte. Eigentlich war es zum Lachen, doch ich wusste, dass der Kerl fähig war, die Waffe einzusetzen.
    »Köchlein schärft sein Messer für Hump«, flüsterten die Seeleute und einige zogen ihn damit auf.
    Leach war einer der Matrosen gewesen, die Thomas Mugridge nach seinem unglückseligen Kartenspiel mit dem Kapitän mit Wasser übergössen hatten. Obendrein hatte er es ausgiebig und mit viel Vergnügen getan. Das konnte der Koch ihm nicht verzeihen. Sie gerieten sich in die Haare und ein Wort ergab das andere. Als Leach die Vorfahren seines Widersachers beleidigte und verhöhnte, bedrohte Mugridge ihn mit dem Messer, das er gerade mal wieder für mich schärfte. Leach lachte und fuhr fort mit seinem Spott. Plötzlich, bevor jemand wusste, was geschah, war sein rechter Arm vom Ellbogen bis zum Handgelenk aufgeschlitzt. Der Koch fuhr zurück, während er das Messer abwehrend vor sich hielt.
    Leach blieb ganz ruhig, obwohl sein Blut wie eine Fontäne sprudelte. »Ich krieg dich, Köchlein, und dann mache ich dich fertig. Ich habe keine Eile und du wirst kein Messer haben, wenn ich dich erwische.« Dann drehte er sich um und ging fort.
    Mugridges Gesicht war starr vor Furcht, doch sein Benehmen mir gegenüber wurde immer schlimmer. Anscheinend hatte er Blut geleckt.
    Etliche Tage gingen vorüber und die Ghost segelte noch immer mit dem Passat. Der Irrsinn in den Augen des Kochs nahm zu. Er wetzte und wetzte und wetzte. Ich hatte schreckliche Angst. Wenn ich die Kombüse verließ, bewegte ich mich rückwärts, was die Matrosen und Jäger erheiterte. Es war furchtbar - ein ganzes Schiff voller Irrer und Bestien! Ich befand mich ständig in Lebensgefahr.
    Einige Male wollte Wolf Larsen mich in ein Gespräch verwickeln, aber ich gab ihm nur knappe Antworten und mied ihn. Schließlich befahl er mir, wieder an seinem Tisch Platz zu nehmen, und ließ den Koch meine Arbeit verrichten. Da erzählte ich ihm, wie Thomas Mugridge sich aufführte.
    »Sie haben also Angst?«, spottete er.
    »Ja, ich habe Angst.«
    »So ist das mit euch Herrschaften«, rief er ein bisschen ärgerlich. »Ihr fantasiert herum von wegen ewigen Lebens und dann verfallt ihr in Todesangst! Warum denn, mein Lieber? Sie werden doch für immer leben. Sie glauben an die Wiederauferstehung. Wovor also haben Sie Angst? Und wenn Sie noch nicht ins Jenseits befördert werden wollen, dann befördern Sie doch das Köchlein dorthin! Nach Ihrer Auffassung muss auch er unsterblich sein. Also stechen Sie ihm ein Messer in den Leib und befreien Sie seinen Geist! Ich befördere Sie auf seinen Posten und gebe Ihnen fünfundvierzig Dollar im Monat.«
    Damit war klar, dass ich von Wolf Larsen keine Hilfe erwarten konnte. Ich musste mir selbst helfen. So kam ich auf die Idee, Thomas Mugridge mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Durch einen Tauschhandel verschaffte ich mir einen Dolch, der nicht weniger gefährlich aussah als das Küchenmesser. Danach konnte ich wieder etwas ruhiger schlafen.
    Am nächsten Morgen nahm der Koch gleich nach dem Frühstück seine Schleiferei wieder auf. Ich brachte die Asche hinaus, dann setzte ich mich auf den Kohlenkasten ihm gegenüber. Ich zog meinen Dolch heraus und fing an ihn zu schärfen. Er machte weiter, ich auch. Zwei Stunden lang saßen wir so, Auge in Auge, und wetzten unsere Waffen. Inzwischen hatte sich die halbe Besatzung an der Kombüsentür versammelt, um das Schauspiel zu verfolgen.
    Allerlei Kommentare wurden geäußert und Ratschläge gegeben. Leach, dessen Arm bandagiert war, bat mich, etwas vom Koch für ihn übrig zu lassen. Auch Wolf Larsen warf ab und zu einen Blick auf uns und fand wohl seine Ansichten über den Unwert des Lebens bestätigt. Ich konnte dem Dasein während dieser Zeit ebenfalls nichts Schönes oder gar Göttliches abgewinnen.
    Mindestens die Hälfte der Männer konnte es kaum erwarten, dass wir uns an die Kehle gingen. Es bedeutete Unterhaltung für sie. Ich glaube nicht, dass einer von ihnen dazwischen gegangen wäre.
    Andererseits war die ganze Geschichte lächerlich. Humphrey van Weyden, der in einer Schiffskombüse sein Messer wetzte! Keiner meiner früheren Bekannten hätte so etwas für möglich

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