Der Seewolf
gehalten.
Nichts geschah. Nach zwei Stunden legte Thomas Mugridge sein Messer zur Seite und streckte die Hand aus.
»Warum sollen wir uns vor diesen Idioten zum Affen machen?«, fragte er. »Die sind doch nur scharf darauf, Blut zu sehen. Du bist nicht der Schlechteste, Hump. Komm, reich mir deine Pfote!«
Ich mochte ein Feigling sein, aber ich war längst nicht so feige wie er. Ich hatte einen Sieg errungen und ich würde nichts davon verschenken, indem ich seine widerliche Hand schüttelte.
»Auch gut«, sagte er ohne Stolz, »dann lass es eben bleiben.« Und um sein Gesicht zu wahren, brüllte er unsere Zuschauer an: »Schert euch weg von meiner Kombüsentür, ihr elenden Lumpen!« Er drohte mit dem dampfenden Wasserkessel, worauf die Männer sich trollten.
»Jetzt ist das Köchlein erledigt«, meinte einer der Jäger. »Von jetzt an regiert Hump die Kombüse und Köchlein zieht seinen Schwanz ein.«
Der Mann behielt Recht. Thomas Mugridge benahm sich mir gegenüber noch unterwürfiger, noch sklavischer als bei Wolf Larsen. Ich wusch keine schmierigen Töpfe mehr ab und schälte keine Kartoffeln mehr. Ich erledigte nur noch meine eigene Arbeit und ich erledigte sie so, wie ich es für richtig hielt. Außerdem trug ich nach Seemannsart meinen Dolch am Gürtel und nahm Thomas Mugridge gegenüber eine herrische, beleidigende und verächtliche Haltung ein.
Die Vertraulichkeit zwischen mir und Wolf Larsen wuchs, soweit man eine Beziehung zwischen König und Hofnarr als vertraulich bezeichnen kann. Er betrachtete mich gewissermaßen als Spielzeug. Solange ich ihn bei Laune hielt, war alles in Ordnung. Doch wehe, er langweilte sich! Dann wurde ich sofort wieder von seinem Tisch in der Kajüte vertrieben und landete in meiner Kombüse. Dabei konnte ich von Glück sagen, wenn ich ihm mit heiler Haut entkam.
Die Einsamkeit dieses Mannes wurde mir immer bewusster. Jeder an Bord empfand für ihn Hass oder Furcht, während er jeden Einzelnen verachtete. Manchmal war ich versucht, Mitleid für ihn zu empfinden, doch wenn er in düstere Stimmung geriet, führte er sich auf wie der leibhaftige Satan.
Vor drei Tagen zum Beispiel betrat ich seine Kabine, um seine Wasserflasche zu füllen. Er bemerkte mich nicht. Ein schwerer Kummer schien ihn zu quälen, denn er hatte das Gesicht in den Händen vergraben und schluchzte. Leise schlich ich mich davon.
Beim Mittagessen fragte er die Jäger nach einem Mittel gegen Kopfschmerzen und am Abend taumelte er halbblind in der Kajüte umher.
»Niemals in meinem Leben bin ich krank gewesen, Hump«, sagte er, als ich ihn zu seiner Kabine führte. »Und Kopfweh hatte ich nur das eine Mal, als ich mir an der Ankerwinde ein großes Loch hineingeschlagen hatte.«
Seine Schmerzen dauerten drei Tage und er litt wie ein wildes Tier - ohne Klage, ohne Mitleid und ganz für sich. Am Morgen nach dem dritten Tag fand ich ihn wieder gesund und munter in seiner Kabine bei der Arbeit. Tisch und Koje waren mit Zeichnungen und Plänen übersät.
»Hallo, Hump«, rief er gut gelaunt. »Gleich bin ich fertig. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?«
»Was ist das?«
»Eine Erfindung für Seeleute, die Zeit erspart und Navigation zu einem Kinderspiel macht«, sagte er froh. »Ein Stern am Himmel reicht aus um zu bestimmen, wo man sich befindet.«
Triumph lag in seiner Stimme und seine Augen leuchteten so blau und klar wie das Meer.
»Sie müssen ein fähiger Mathematiker sein«, vermutete ich. »Wo sind Sie zur Schule gegangen?«
»Habe nie eine von innen gesehen, musste mir alles selbst aneignen. Aber warum, denken Sie, tüftle ich solche Sachen aus? Etwa um Spuren zu hinterlassen?« Er brach in höhnisches Gelächter aus. »Keinesfalls! Ich werde es als Patent anmelden, um damit Geld zu scheffeln. Ich werde in Gemeinheiten schwelgen, während andere arbeiten. Das ist meine Absicht. Außerdem hat es mir Spaß gemacht.«
»Schöpferische Freude«, murmelte ich. »Ich schätze, so nennt man das.«
Ich machte das Bett, während er sich erneut in seine Zeichnungen vertiefte. Ich bewunderte, wie er trotz seiner Körperkraft solche feinen, präzisen Linien zeichnen konnte. Fasziniert schaute ich ihm zu.
Er war von maskuliner Schönheit. Sein Gesicht wirkte nicht im Mindesten bösartig, wies keine Spur von Ungerechtigkeit auf. Es war das Gesicht eines Mannes, der entweder mit seinem Gewissen im Reinen lebte oder aber überhaupt kein Gewissen besaß. Es war das Gesicht eines Eroberers und
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