Der Seewolf
selbst auf einem wahren Höllenschiff! Die Männer hatten kaum etwas anderes im Kopf als zu kämpfen und sich zu schlagen. Jeden Moment erwarteten die Jäger eine Schießerei zwischen Smoke und Henderson, die eine alte Meinungsverschiedenheit noch nicht überwunden hatten. Wolf Larsen drohte, den Überlebenden zu erschießen, falls es wirklich so weit käme, jedoch keineswegs aus moralischen Gründen. »Von mir aus könnt ihr euch später alle gegenseitig über den Haufen schießen und hinterher auffressen! Aber bei der Jagd brauche ich jeden Einzelnen.«
Thomas Mugridge benahm sich mir gegenüber wie ein unterwürfiges Hündchen, aber ich traute ihm nicht und war immer auf der Hut. Meinem Knie ging es viel besser, obwohl es oft und anhaltend schmerzte. Auch meinen Arm, den Wolf Larsen gequetscht hatte, konnte ich allmählich wieder benützen. Im Großen und Ganzen befand ich mich in hervorragender Kondition und meine Muskeln wurden von Tag zu Tag stärker. Meine Hände allerdings sahen jämmerlich aus. Sie waren über und über von Brandblasen bedeckt und die Nägel abgebrochen. Außerdem litt ich an Geschwüren, was vermutlich auf die erbärmliche Kost zurückzuführen war, denn ich hatte vorher noch nie mit so etwas zu tun gehabt.
Eines Abends konnte ich mir das Lachen kaum verkneifen. Wolf Larsen studierte die Bibel! In den Sachen des toten Steuermanns hatte man ein Exemplar gefunden, nachdem zunächst auf dem ganzen Schiff keins aufzutreiben war. Der Kapitän las mir aus dem Prediger Salomo vor. Dabei konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, es handle sich um seine eigenen Gedanken und Ansichten. Seine ernste, tiefe Stimme fesselte und beeindruckte mich. Zwar war er ungebildet, jedoch bestens in der Lage, dem geschriebenen Wort mehr Bedeutung zu verleihen.
Bald darauf geschah etwas Schreckliches! Innerhalb von vierundzwanzig Stunden fand eine wahre Orgie der Brutalität statt. Von der Kajüte bis zur Back fiel sie wie eine Seuche über die Männer her. Die Ursache war Wolf Larsen.
Thomas Mugridge, ein Spion und Verräter, versuchte immer wieder sich beim Kapitän einzuschmeicheln, indem er Gerüchte über die Seeleute verbreitete. Ich wusste, dass er es war, der Johnsons unüberlegtes Geschwätz Wolf Larsen überbrachte.
Wie es schien, hatte Johnson Ölzeug aus der Schiffskleiderkiste gekauft. So einen Miniaturladen gab es auf jedem Robbenschoner, damit sich die Matrosen mit den notwendigen Dingen versorgen konnten. Johnson war mit der Qualität seines Neuerwerbs jedoch absolut nicht zufrieden und hängte seine Ansicht sofort an die große Glocke.
Ich hatte gerade die Kajüte ausgefegt und war von Wolf Larsen in ein Gespräch über Hamlet, seinen Lieblingshelden bei Shakespeare, verwickelt worden, als Johansen mit Johnson im Schlepptau die Treppe herunterkam. Wie es sich gehörte, nahm Johnson ehrerbietig seine Mütze ab und blickte dem Kapitän offen in die Augen.
»Schließen Sie die Tür und schieben Sie den Riegel vor«, sagte Wolf Larsen zu mir.
Während ich gehorchte, sah ich in Johnsons Augen ein besorgtes Flackern. Nicht im Traum hätte ich mir vorstellen können, was dann geschah, aber er wusste es von Anfang an und trat dem tapfer entgegen. Er war im Recht und das wusste er, deshalb hatte er keine Angst. Falls nötig, würde er für dieses Recht sterben und sich selbst treu bleiben.
Johansen, der Steuermann, stand ein Stück abseits von ihm und gut drei Meter entfernt saß Wolf Larsen ihm auf einem Stuhl gegenüber. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, blieb es eine Weile still.
»Yonson«, begann der Kapitän.
»Mein Name ist Johnson, Sir.«
»Dann eben Johnson, verdammt! Hast du eine Ahnung, warum ich dich habe antreten lassen?«
»Ja und nein, Sir«, lautete seine bedächtige Antwort. »Ich mache meine Arbeit gut. Das weiß der Steuermann und das wissen Sie selbst, Sir. In dieser Hinsicht kann es keine Klagen geben.«
»Ist das alles?«, fragte Wolf Larsen so sanft wie ein Kätzchen.
»Ich weiß, dass Sie etwas gegen mich haben«, fuhr Johnson fort. »Sie mögen mich nicht, Sie ... Sie ...«
»Weiter«, verlangte Wolf Larsen, »du brauchst dich nicht davor zu fürchten, meine Gefühle zu verletzen.«
»Ich fürchte mich nicht.« Ein Anflug von Arger glühte durch die Sonnenbräune im Gesicht des Matrosen. »Sie können mich nicht leiden, weil ich ein richtiger Mann bin. Das ist der Grund.«
»Aber kein Mann, der die Disziplin an Bord wahrt«, konterte Wolf Larsen. »Wie ich
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