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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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kleinen Booten genauso gut auskannte wie mit großen Schiffen. Nach anderthalb Stunden befand er sich beinahe längsseits und wollte uns mit der nächsten Halse erreichen.
    »Ihr habt es euch also anders überlegt«, hörte ich Wolf Larsen murmeln. »Jetzt wollt ihr wohl wieder an Bord? Na gut, dann versucht das mal! - Hart Steuerbord!«, befahl er Oofty-Oofty, der Louis am Rad abgelöst hatte.
    Befehl folgte Befehl. Einmal ließ er das Boot herankommen, dann wich er ihm wieder aus. Dieses Ungeheuer in Menschengestalt spielte Katz und Maus mit den beiden verzweifelten Männern.
    »Die Todesangst steht ihnen ins Gesicht geschrieben«, sagte Louis leise zu mir.
    »Ach, er wird wohl gleich beidrehen und sie aufnehmen«, sagte ich zuversichtlich. »Er will ihnen nur eine Lektion erteilen.«
    Skeptisch furchte Louis die Stirn. »Glauben Sie das wirklich?«
    »Selbstverständlich.«
    Da rief mir Wolf Larsen zu: »Holen Sie besser die Toppsegel ein, Mr van Weyden.«
    Gott sei Dank! Offensichtlich wollte er ihnen nicht zu weit weglaufen. Eiligst führten die Männer meinen Befehl aus, noch bevor ich ihn vollends ausgesprochen hatte. Wolf Larsen registrierte das mit grimmigem Gegrinse.
    Wie ein lebendiges Wesen wirbelte das kleine Boot durch die grüne Masse auf uns zu.
    »Hart Steuerbord!« Wolf Larsen sprang selbst ans Rad.
    Und wieder jagte die Ghost davon und Johnson und Leach versuchten sie einzuholen. Zwei Stunden dauerte diese Verfolgung. Wir drehten bei und liefen fort, drehten bei und liefen fort, während das kleine Segel abwechselnd himmelwärts schoss und in die rauschenden Täler stürzte.
    Das Boot war ungefähr eine Viertelmeile von uns entfernt, als ein Regenschauer zwischen uns niederging und es verdeckte. Wir sahen es niemals wieder. Als der Wind den Regen fortgeblasen hatte, lag das Meer leer und verlassen vor uns. Für Johnson und Leach war der Kampf ums Dasein vorüber.
    Die Männer verharrten in Gruppen an Deck. Keiner sprach ein Wort. Jeder bemühte sich zu begreifen, was sich abgespielt hatte. Wolf Larsen ließ ihnen wenig Zeit. Unverzüglich brachte er die Ghost auf Kurs - auf Kurs zu den Robbenherden, nicht nach Yokohama. Auf meinem Weg zum Heck begegnete mir der Maschinist, den wir gerettet hatten.
    »Lieber Gott, was ist das bloß für ein Schiff?«
    »Das haben Sie doch mit eigenen Augen gesehen!« Das Entsetzen ließ mir kaum Luft zum Atmen. Ich lief zu Wolf Larsen.
    »Und Ihr Versprechen?«, fragte ich ihn.
    »Ich hatte niemals vor, sie an Bord zu nehmen. Und Sie müssen doch zugeben: Ich habe sie nicht angerührt. Ganz und gar nicht!«
    Er lachte.
    Ich war außer mir. Der einzige Gedanke, zu dem ich noch fähig war, galt der Frau unter Deck. Ich durfte nichts Unüberlegtes tun, wenn ich ihr irgendwie beistehen wollte.

Der Rest des Tages verlief ohne besondere Ereignisse und der Wind legte sich. Der Maschinist und die drei Heizer wurden, nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Wolf Larsen, mit Sachen aus der Kleiderkiste ausgerüstet. Sie wurden auf die Boote der Jäger verteilt und zur Schiffswache angewiesen. Ihre Proteste waren nicht allzu laut, dafür hatten sie bereits zu viel von Wolf Larsen mitbekommen.
    Miss Brewster, ich hatte ihren Namen von dem Maschinisten erfahren, schlief und schlief. Sie erschien erst am nächsten Morgen zum Frühstück und das war schon recht amüsant. Die Jäger waren schlagartig still und machten den Mund nicht mehr auf. Lediglich Jock Horner und Smoke zeigten sich unbeeindruckt und beteiligten sich sogar an der Unterhaltung.
    Wolf Larsen sprach anfangs wenig. Diese junge Frau war etwas Neues. Sie war von ganz anderer Art als die übrigen Menschen auf dem Schiff und er beobachtete sie voller Neugier.
    Auch meine Blicke ruhten auf ihr, obwohl ich das Gespräch in Gang hielt. Doch während mir ein bisschen beklommen zumute war, verlor Wolf Larsen nichts von seinem Selbstvertrauen. Vor Frauen hatte er ebenso wenig Angst wie vor Stürmen und Schlachtgetümmel.
    »Wann kommen wir in Yokohama an?«, fragte sie und schaute ihm offen in die Augen.
    Die Frage aller Fragen! Die Spannung im Raum war fast mit Händen zu greifen.
    »In vier Monaten oder in dreien, je nachdem, wann die Jagdzeit vorüber ist«, sagte Wolf Larsen.
    Sie schnappte nach Luft. »Ich dachte ... ich glaubte ... man hat mir gesagt, es sei nur ein Tag bis Yokohama.« Sie schaute von einem Gesicht zum anderen, doch die Männer, die um den Tisch versammelt waren, starrten auf ihre Teller. »Das kann

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