Der Seewolf
versuchte vor dem Wind zu entkommen. Es näherte sich den angegriffenen Booten um ihnen beizustehen.
Trotz der Arbeit, die ich nun zu verrichten hatte, hörte ich, wie Wolf Larsen den beiden fremden Matrosen befahl, nach vorn in die Back zu gehen. Widerwillig gehorchten sie. Dann schickte er Maud Brewster nach unten, die ihn entsetzt anstarrte. Er lächelte. »Sie werden dort nichts Schreckliches vorfinden. Nur einen unverletzten Mann, der an einem Ringbolzen festgebunden ist. Ich will nicht, dass Sie zu Schaden kommen, wenn demnächst Kugeln durch die Luft pfeifen.«
Kaum hatte er ausgesprochen, als eine Kugel zwischen seinen Händen hindurch gegen das Steuerrad prallte und durch die Luft flog. »Sehen Sie? - Mr van Weyden, übernehmen Sie das Steuer.«
Miss Brewster stand auf der Treppe nach unten, sodass nur noch ihr Kopf zu sehen war. Da lud Wolf Larsen sein Gewehr. Ich sandte ihr einen flehenden Blick zu, unter Deck zu gehen, doch sie lächelte.
»Wir mögen elende Landratten sein, aber wir können Kapitän Larsen zeigen, dass wir mindestens so tapfer sind wie er.«
Er warf ihr einen raschen bewundernden Blick zu.
»Jetzt gefallen Sie mir noch einmal so gut! Bücher, Verstand und Mut - Sie sind wirklich perfekt. Eine Gelehrte, die das Zeug zur Seeräuberbraut hat! Aber wir sollten das lieber später ausdiskutieren ...« Eine Kugel schlug in die Wand der Kajüte ein.
Während er sprach, war wieder der seltsame goldene Schimmer in seinen Augen erschienen. Maud Brewsters jedoch weiteten sich vor Schreck.
Die Kugeln, die wir bisher abbekommen hatten, waren aus einer Meile Entfernung abgefeuert worden. Jetzt hatte sich unser Abstand um die Hälfte verringert. Wolf Larsen zielte dreimal sehr sorgfältig und schoss. Der erste Schuss ging fünfzig Fuß am anvisierten Boot vorbei, der zweite dicht daneben, beim dritten ließ der Steuermann das Ruder fallen und sackte zusammen.
»Ich schätze, das bringt sie zur Vernunft.« Wolf Larsen erhob sich. »Ich kann es mir nicht leisten, den Jäger zu treffen. Vermutlich kann der Ruderer nicht steuern und der Jäger nicht zwei Dinge gleichzeitig tun.«
Er hatte Recht. Das Boot drehte sich sofort in den Wind und der Jäger sprang nach achtern um zu steuern. Aus diesem Boot wurde nicht mehr geschossen, während von den übrigen Booten weiter munter die Kugeln pfiffen.
Dem Jäger war es gelungen, das Boot wieder vor den Wind zu bringen, aber wir näherten uns in rascher Fahrt. Wolf Larsen lief nach mittschiffs und griff nach einer Taurolle. Mit dem Gewehr im Anschlag beugte er sich über die Reling.
Zweimal beobachtete ich, wie der Jäger unten die eine Hand vom Ruder nahm, um nach seinem Gewehr zu greifen, es aber dann lieber sein ließ.
Wir schössen schäumend an ihnen vorüber.
»He, du«, rief Wolf Larsen dem Ruderer plötzlich zu, »pack das Ende!« Dabei warf er das Seilknäuel hinunter. Er traf so gut, dass es den Mann beinahe umstieß, aber er gehorchte nicht. Er wartete auf den Befehl seines Jägers.
Dieser befand sich in einer schlimmen Lage. Sein Gewehr lehnte zwischen seinen Knien, doch wenn er das Steuerruder losließ um zu schießen, würde das Boot herumwirbeln und mit dem Schoner zusammenstoßen. Obendrein sah er Wolf Larsens Gewehr auf sich gerichtet. Ihm war klar, dass er erschossen werden würde, bevor er auch nur zielen könnte.
»Nimm das Seil«, sagte er ruhig zu seinem Gefährten.
Der Ruderer gehorchte und befestigte das Tau am Boot. Der Jäger brachte sein Boot etwa zwanzig Fuß entfernt parallel zur Ghost. Sein Gewehr ließ er nicht los. Er holte sogar mit nur einer Hand das Segel ein. Als das Boot festgemacht war und die beiden unverletzten Männer Anstalten machten, an Bord zu kommen, griff der Jäger nach seinem Gewehr, als ob er es in Sicherheit bringen wollte.
»Fallen lassen!«, brüllte Wolf Larsen und der Mann ließ es los, als ob er sich die Finger verbrannt hätte.
Sobald sie sich an Bord befanden, mussten die beiden Gefangenen das Boot einholen und ihren verwundeten Steuermann in die Back tragen.
»Wenn unsere fünf Boote genauso erfolgreich sind wie Sie und ich«, sagte Wolf Larsen zu mir, werden wir eine prächtige Mannschaft zusammenstellen können!«
»Der Mann, auf den sie geschossen haben, ist er - ich hoffe ...?«, fragte Maud Brewster mit bebender Stimme.
»In die Schulter«, antwortete er, »nichts Ernstes. Mr van Weyden wird ihn gekonnt verarzten, sodass er in drei bis vier Wochen so gut wie neu ist. Bei den Kerlen
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