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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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luven und im Notfall die Schot loswerfen.
    Ich nahm an, sie sei müde geworden, als sie mir das Ruder wieder überließ. Doch sie breitete die Decken auf dem Boden aus und sagte: »So, Sir, ins Bett mit Ihnen! Bis zum Mittagessen schlafen Sie jetzt.«
    Was blieb mir übrig? Sie bestand darauf. Als sie »Bitte, bitte« sagte, übergab ich ihr das Ruder und gehorchte.
    Es war wonnevoll, in das Bett zu kriechen, das sie mit ihren Händen für mich bereitet hatte. Die Ruhe und Gelassenheit, die für Maud so typisch waren, schien in die Decken übergegangen zu sein. Schläfrig und zufrieden nahm ich noch eine Weile ihr ovales Gesicht mit den braunen Augen unter der Fischermütze wahr, das mal den Himmel und mal das Meer als Hintergrund hatte ...
    Als ich erwachte, war es eins. Ich hatte sieben Stunden geschlafen! Und sie hatte sieben Stunden lang gesteuert! Als ich das Ruder übernehmen wollte, musste ich vorher ihre verkrampften Finger davon lösen. Sie war so erschöpft, dass sie sich nicht von ihrem Platz bewegen konnte. Ich half ihr in das weiche Nest aus Decken und massierte ihre Arme und Hände.
    »Ich bin so müde«, seufzte sie und ihr Kopf sank auf die Unterlage. Doch im nächsten Moment hob sie ihn wieder. »Schimpfen Sie bitte nicht mit mir!«
    »Sie waren nicht fair«, tadelte ich sie trotzdem, »weder gegen sich selbst noch mir gegenüber. Wie soll ich mich so auf Sie verlassen?«
    »Ja.« Sie sah schuldbewusst drein. »Ich weiß, es war dumm von mir. In Zukunft werde ich brav sein.«
    »Und so gehorchen wie ein Matrose seinem Kapitän?«
    »Ich verspreche es.«
    »Außerdem müssen Sie mir noch etwas anderes versprechen.« »Aber ja.«
    »Dass Sie nicht gar so häufig ›Bitte, bitte‹ sagen, denn wenn Sie das tun, untergraben Sie meine Autorität.«
    Sie lachte. Sie wusste nur allzu gut, welche Macht die beiden Wörtchen auf mich ausübten. Seufzend kuschelte sie sich in die Decken. Ich ließ das Ruder Ruder sein und packte ihre Füße fest ein. Anschließend zog ich ihr wieder einen Deckenzipfel vors Gesicht.
    Sie war so zart! Sorgenvoll schaute ich gen Südwesten und dachte an die Mühen, die vor uns lagen. Wenn uns bloß nicht noch Schlimmeres als diese Mühen bevorstand! Jeden Augenblick konnte ein Sturm aufziehen und uns vernichten. Und dennoch hatte ich keine Angst. Es musste gelingen, es musste uns einfach gelingen!
    Am Nachmittag frischte der Wind auf und trieb hohe Wellen vor sich her. Die erste Bewährungsprobe für das Boot und für mich als Steuermann. Aber unser Lebensmittelvorrat und die neun Wasserfässer verliehen unserem Schiff Stabilität und ich ließ das Segel gesetzt, solange es möglich war. Dann reffte ich es und wir rauschten weiter durch Wind und Wellen.
    Am späten Nachmittag sichtete ich den Rauch eines Dampfers. Es konnte ein russischer Kreuzer sein, doch wahrscheinlich handelte es sich um die Macedonia , die noch immer die Ghost verfolgte.
    Den ganzen Tag über hatte die Sonne nicht geschienen und es war bitterkalt. Als die Nacht hereinbrach, verdüsterten sich die Wolken und der Wind wurde noch stärker. Wir vertilgten unser Abendbrot mit Fausthandschuhen an den Händen. Ich blieb dabei am Ruder und nahm nur zwischendurch rasch ein paar Bissen zu mir.
    Als es dunkel war, hatten Wind und Seegang dermaßen zugenommen, dass ihnen das kleine Boot kaum standhalten konnte. Da stellte ich einen Seeanker her. Ich faltete das Segel zusammen, zurrte es ordentlich fest und warf es über Bord. Nun trieb es an einer Leine vor uns durch die Wogen und hinderte das Boot am Kentern.
    »Was jetzt?«, fragte Maud gut gelaunt, als ich meine Handschuhe wieder überzog.
    »Jetzt fahren wir nicht mehr in Richtung Japan, sondern nach Südosten mit mindestens zwei Meilen pro Stunde.«
    »Das sind nur vierundzwanzig Meilen«, meinte sie, »falls der Wind die ganze Nacht über anhält.«
    »Und nur einhundertvierzig Meilen, wenn er drei Tage und drei Nächte weiterbläst.«
    »Aber er wird nicht so weiterwehen«, sagte sie zuversichtlich. »Bestimmt dreht er und bläst so, wie wir ihn haben wollen.«
    »Hätte ich bloß Larsens Chronometer und den Sextanten mitgenommen«, rief ich ärgerlich. »Bei diesen Verhältnissen geraten wir leicht fünfhundert Meilen vom Kurs ab, bevor wir es merken.«
    Dann bat ich sie um Verzeihung und versprach nie wieder den Mut zu verlieren. Auf ihren hartnäckigen Wunsch hin überließ ich ihr die Wache bis Mitternacht - es war gerade neun Uhr -, doch ich wickelte sie in

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