Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
die Zügel übernehmen und den Wagen mit Fauler Weißer Stern vorsichtig um den Sportplatz lenken. Das Gefühl von Macht, die vollständige Kontrolle über sich selbst, den Wagen und das Tier waren ein wunderbarer Gegensatz zu dem Chaos in seinem Inneren, und Huy genoss es sehr, eine Stunde auf dem elastischen Flechtwerk des Wagenbodens zu balancieren, während das Pferd gleichmäßig dahintrottete und Mesta gelegentlich einen Befehl rief.
    Am dritten Nachmittag, als er Fauler Weißer Stern gerade ausschirren wollte, klopfte ihm Mesta auf den Rücken und sagte: »Wieder einmal sehr gut, Huy! Du wirst ein guter Wagenlenker. Vielleicht willst du ja statt ein Mann der Wörter lieber ein Mann der Tat werden!« Die Worte waren warmherzig, ein hohes Lob und eine humorvolle Ermunterung, doch in Huys Gedanken schob sich etwas absolut Nüchternes. »Du wirst … willst du … werden.« Von den Worten zur Tat. Nein, das ist es nicht, überlegte er fieberhaft, als er Fauler Weißer Stern in den Stall führte. Das ist die zweite Sache. »Du wirst … Du wirst dadurch zu deinem Namen … Du gipfelst in diesem deinem Namen ›Hügel‹ …« Gipfelst. Gipfelst. Aber gipfeln bedeutet, einen Prozess eingeleitet – keine Aufgabe, keine Pflicht, einen Prozess – und ihn vollendet zu haben. Atum schafft mit seiner Willenskraft einen Gipfelpunkt. Er tritt in die Erste Duat ein. Götter, es ist da, aber ich kann es nicht zutage fördern!
    Das Pferd hob den Kopf vom Wassertrog hoch und sah Huy mit tropfendem Maul vorwurfsvoll an. Der holte warmes Wasser und wusch und striegelte das Tier. Auch als er hinausging, um den Wagen zu holen, vermischten sie die Worte des Buches und Mestas Bemerkung weiterhin auf eine Weise, die ihn wütend machte. Der Wagen war nicht schwer und ließ sich leicht bewegen, doch man musste ihn erst mit einem Ruck aus dem Sand befreien. Huy nahm die Deichsel und zerrte daran. In diesem Moment wurde der Strom der Wörter zu einem Wirbel, sie trennten sich, stoppten ihren mentalen Tanz und die Antwort, die er gesucht hatte, lag klar und deutlich auf seiner Zunge. »Metamorphose«, stieß er aus, ließ die Deichsel fallen und stand wie erstarrt. »Natürlich! ›Heil dem, der in die Erste Duat eintritt! Du gipfelst in diesem deinem Namen ‚Hügel‘! Du wirst dadurch zu deinem Namen!‹ Die Erste Duat ist der Ort der Metamorphose! Atum schafft kraft seines Willens seine eigene Metamorphose, tritt in den Prozess ein und wird der Hügel … Ich brauche ein Bier!«
    Mesta eilte zu ihm. »Huy, was ist los? Hast du dich gezerrt? Bist du wieder krank?«
    Huy bückte sich und hob die Deichsel wieder auf. Er lächelte. »Nein, Meister. Danke. Ich habe meine Pflichten nahezu erfüllt.« Nachdem er das Gefährt in der Box angekettet und geprüft hatte, ob die Achse noch fest war, das Korbgeflecht unbeschädigt, die Speichen keine Zeichen von Fäulnis aufwiesen, verabschiedete er sich knapp von Mesta und rannte in seinen Hof. Der Stolz auf sich selbst wurde nur noch von seinem Durst übertroffen.
    Dieses Mal hatte er kein ungutes Gefühl, als er sich vor dem Baum niederwarf, auf das Kissen setzte und den Kasten öffnete. Ehe er den Innenhof wieder verließ, hatte sich Ramose nach ihm umgesehen und mit leichtem Vorwurf gesagt: »Huy, du hast deine Palette vergessen. Ich werde einen Diener danach schicken.«
    »Das ist nicht nötig, Meister. Das glaube ich jedenfalls. Ich kann mir den Text beim Lesen anscheinend einfach einprägen. Ich will sehen, ob das so bleibt.«
    Der Oberpriester starrte ihn forschend an. »Jemand anders würde wahrscheinlich Angst vor dir bekommen, Sohn des Hapu«, murmelte er. »Doch ich frage mich nur, welches merkwürdige Schicksal die Götter für dich vorgesehen haben.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und Huy war allein.
    Eifrig zog er die erste Rolle heraus, öffnete sie und überflog den Text, den er bereits gelesen hatte und nun leicht begriff. Atum allein existierte, war einzigartig, sicher unfassbar, außerhalb von Raum und Zeit, doch kraft seines Willens im Nun. Er wollte auch werden, sich verwandeln. An dieser Stelle löste Huy seinen Blick von dem Papyrus und starrte ins Leere. Auch ich habe eine Erste Duat erfahren, dachte er verwundert. Ich bin gestorben und wurde wiedergeboren. Ich habe, entsprechend dem Plan der Götter, eine Metamorphose durchgemacht. Zu welchem Zweck, ist mir verborgen. Doch wenn ich Imhotep abgeschlagen hätte, das Buch zu lesen, wäre ich dann für dieses

Weitere Kostenlose Bücher