Der Seher des Pharao
»Die Lampe ist fast heruntergebrannt, und ich muss schlafen. Gute Nacht, mein Lieblingsseher.«
Oh ja, dachte Huy, als er sich auf die Seite drehte und das heftige Flackern der ausbrennenden Lampe beobachtete. So ist das also. Anuket, Wassergöttin, ohne dich ist mein Herz so trocken, meine Seele so durstig. Schläfst du unter deinem parfümierten Laken mit der winzigen Faust unter dem Kinn und den Wimpern wie Schmetterlingen auf deinen Wangen? Oder liegst du auf dem Rücken, die eine Hand über dem Kopf auf dem Kissen, die Augen weit offen, und denkst ebenso sehnsüchtig an mich wie ich an dich? Plötzlich wurde ihm so kalt, dass seine Zähne zu klappern begannen. Gleichzeitig setzte der Schmerz an seinem Steißbein ein. Zitternd richtete er sich auf und wickelte sich in die Decke, die unten auf seinem Bett lag. Und ebenso schnell stieß er sie wieder von sich, denn nun schwitzte er. Zu viel, dachte er verschwommen. Ich lerne zu viel, zu schnell. Das Wissen lastet auf mir, dass meine Knie einknicken und mein Rücken gebeugt wird. Sie stechen auf mich ein, all diese Worte. Sie sind wie Steine auf meinen Schultern und Schwerter in meinem Bauch. Mir geht es nicht gut. Gar nicht gut.
Thutmosis schüttelte ihn sanft, und Huy schreckte vor der Berührung zurück. »Steh auf, Huy! Steh auf!« Thutmosis bedrängte ihn von irgendwo weit weg, aus der Dunkelheit der Duat, wo die Dämonen aussahen wie missglückte, unverständliche Hieroglyphen. »Du kommst zu spät zum Unterricht!«
Huy drehte den Kopf. Die Bewegung schien eine Ewigkeit zu dauern. »Siehst du die Wörter, Thutmosis?«, murmelte er undeutlich. »Kannst du mir sagen, was sie bedeuten? Ich muss wissen, was sie bedeuten!«
Thutmosis verschwand. Die Dämonen schlurften heran und streuten geheimnisvolle Symbole zu ihren Füßen aus. Einer sah aus wie der Oberpriester. Er beugte sich über ihn. »Das ist ein Unglück«, sagte er. »Lasst einen Lektor-Priester eine Beschwörung vorbereiten, um den Fieberdämon auszutreiben. Seine Laken sind nass. Pabast, bring neue Laken und eine große Schüssel mit dem kältesten Wasser, das du finden kannst. Er muss ständig gewaschen werden. Kann er schlucken?« Ein anderes Gesicht kam näher.
Huy kicherte. »Also habe ich doch einen Dämon. Schickt sofort nach der Rechet.« Keiner schien ihn zu hören.
Das Gesicht schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Wenn ich versuche, ihm Medizin einzuflößen, würde er ersticken. Später, wenn die Götter die Krise vorübergehen lassen, werde ich ihm Tollkirsche gegen die Schmerzen, Kampferbaumsamen gegen das Fieber und natürlich Koriander geben.«
»Die im Moment allesamt nutzlos sind.« Die Stimme des RamoseDämons klang gereizt. »Ich hätte ihn mir genauer ansehen müssen. Es ist noch nicht lange genug her, dass er aus dem Haus der Toten kam. Vielleicht haben wir ihm mehr aufgebürdet, als er ertragen kann.« Das Gesicht verschwand in der Dunkelheit, aber die Stimme fuhr fort. »Die Diener sollen sich abwechseln. Das Fieber muss heruntergebracht werden.«
»Meister, ich möchte mich um ihn kümmern. Ich kann ihn waschen und es ihm mit Pabasts Hilfe so bequem wie möglich machen. Er erkennt meine Berührung.« Das war die Stimme von Thutmosis.
Huy war erleichtert. Thutmosis konnte mit den Dämonen reden. Er würde sie überwältigen. »Ordne die Hieroglyphen, mein Freund. Zieh sie runter von der Haut der Dämonen, und zeig sie mir.«
»Er hat etwas gemurmelt, als er meine Stimme gehört hat«, fügte Thutmosis hinzu. »Bitte, Meister!«
»Na gut. Aber du befolgst alle Anweisungen des Arztes, und du musst das Schulpensum, das du versäumst, in deiner Freizeit nachholen. Außerdem muss ich deinen Vater informieren. Es kann sein, dass Nacht nicht will, dass du mit Krankheit in Berührung kommst.«
Der Rand eines Brunnens sauste auf Huy zu. Er hatte Hände. Sie umklammerten seine Kehle und seinen Kopf und zogen ihn hinein. Die Schmerzen waren schrecklich. Mit einem Schrei versank Huy in der Dunkelheit.
Doch auch hier erkannte er die Hände von Thutmosis. Wann immer sie ihn berührten, verbreiteten sie eine feuchte Kühle. Jemand sang: »Ich gehöre Re. So spricht er: Ich bin es, der den kranken Mann vor seinen Feinden schützt. Sein Führer soll Thot sein, der die Schrift sprechen lässt, der die Bücher erschafft, der den Wissenden das Wissen gibt, die Ärzte sind seine Jünger, sodass sie den der Krankheit entreißen können, den die Götter am Leben sehen wollen …«
»Werde
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