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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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wieder gesund, Huy«, hörte er Thutmosis flüstern, ehe ihn der Brunnen wieder verschlang. »Wag es ja nicht zu sterben, dann waren all die schlaflosen Nächte umsonst.«
    Endlich spürte er, wie das Fieber nachließ. Seine Zwingen lockerten sich, und zwischen den Schüben von Bewusstlosigkeit konnte Huy die Augen öffnen und schläfrig beobachten, wie sein Freund nasse Tücher auswrang, vor seinem Schutzgott betete oder halb sitzend auf seinem Bett schlief. Nun erkannte er eines der Dämonen-Gesichter als das des Arztes, der seinen Kopf anhob und einen Becher an seine Lippen hielt. Die Medizin war bitter. Sie kratzte in seinem wunden Hals, aber er schluckte sie, und es kam der Tag, an dem er ein Wort des Dankes krächzte, ehe er in einen gesunden Schlaf fiel.
    Und träumte. Er hockte im Schneidersitz im warmen Gras vor dem Isched-Baum, der über und über mit roten und weißen Blüten bedeckt und von Bienen umschwärmt war. Ein betäubender Duft erfüllte die Luft. Die Sonne stand genau im Zenit und hätte eigentlich unerträglich sein müssen, aber Huy verspürte nur Zufriedenheit, die ihn durchströmte. Gegenüber von ihm saß Imhotep, die Schreiberpalette auf den Knien. Darauf lag eine offene Schriftrolle. Andere weiße Rollen waren um ihn verstreut. Er schien Huy nicht zu bemerken, und lange Zeit trieb dieser in einem Zustand schieren Glücks, sog den Duft des Baumes ein und lauschte dem einlullenden Summen der Bienen, die zwischen den unzähligen Blüten herumflogen, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf Imhotep richtete. Der weise Mann hatte den Kopf gebeugt, die eine beringte Hand ruhte bewegungslos auf den zierlichen Schriftzeichen, die Huy so gut kannte.
    Beiläufig blickte Huy auf die andere Hand und erschrak, als er sah, was sie tat. Die Hyäne lag zusammengerollt und mit halb geschlossenen Augen neben Imhotep, der sie mit seinen langen Fingern bedächtig streichelte.
    »Glaubst du«, fragte eine tiefe Stimme direkt hinter Huy, »dass dies Bewusstsein ist?« Huy wirbelte herum. Die lange, schwarze Schnauze von Anubis war an seinem Ohr, und neben ihm wiegten sich die schillernden Federn von Maat in der süßen Brise. »Oder ist es mehr, junger Sterblicher? Gibt es mehr als Bewusstsein? Kann Atum zum Hügel werden, wenn der Hügel nicht Atums Bewusstsein besitzt? Und wenn der Hügel Atums Bewusstsein besitzt, dann entspringt die Erste Duat Atums Willenskraft. Hör zu und verstehe.« Die Stimme des Gottes war merkwürdig tonlos und kühl, als käme sie durch das eiskalte Wasser eines Wintermorgens im Delta. Anubis streckte seinen schwarzen Arm mit einem goldenen Anch-Zeichen in der Hand in Richtung Baum, und sofort verschwand die Sonne. Die Dunkelheit kam schlagartig und war absolut, eine endgültige Nacht, und Huy wusste, dass es nie etwas anderes gegeben hatte und geben würde. »Du siehst den Nun«, fuhr die Stimme unbarmherzig fort. »Wo ist jetzt Bewusstsein, Sohn des Hapu? Denn da ist kein Jetzt, kein Dann, kein Ja und Nein, kein Gut und Schlecht, keine Gegenwart und Abwesenheit. Es ist auch kein Nichts, es ist das Nichtsein des Nichtseins von Nichts. Wo ist Atum? Wie kann er hier eintreten? Was ist seine Willenskraft? Hör zu und verstehe.«
    Huy erwachte mit einem Schrei. Er tastete nach seinen Schutzamuletten und richtete sich schweißnass auf. Es war Nacht. Durch die offene Tür der Kammer konnte er funkelnde Sterne und die beruhigenden Silhouetten der Dächer rundum ausmachen.
    Thutmosis war sofort neben ihm. »Huy, Huy! Erkennst du mich? Dein Fieber ist weg, aber du bist immer noch sehr schwach. Leg dich wieder hin. Ich muss dich waschen.« Er lachte erleichtert. »Du stinkst!« Er stopfte Huy ein weiteres Kissen in den Rücken und ging zur Tür. Huy hörte, wie er einem Diener befahl, heißes Wasser und weitere Leintücher zu holen, und einen anderen zum Oberpriester schickte.
    »Wie lange war ich krank«, fragte er, als Thutmosis zurückkam. »Du hast mich gepflegt, nicht wahr? Ich erinnere mich an deine Stimme und deine Hände.« Er weinte vor Schwäche. »Ohne die Hoffnung, die sie mir vermittelt haben, wäre ich sicher gestorben. Ich danke dir, teuerster Freund.«
    Thutmosis grinste. Er erschien Huy blass, das kleine Gesicht war noch schmaler, und er hatte abgenommen. »Du lagst vier Tage im Koma, und an zwei weiteren bist du immer wieder bewusstlos gewesen, aber dazwischen lange genug wach, dass dir der Arzt sein Giftgebräu einflößen konnte.« Er umarmte Huy. »Der Oberpriester ist ein

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