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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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scharfer Stimme. Er überlegte, was sie wohl machte. Sein Bruder Heby war jetzt fast zwei Jahre alt. War er genau so ein forderndes und ungehorsames Kind, wie er es selbst gewesen war? Betete Hapsefa auch für ihn abends und sang ihn in den Schlaf? War irgendwo im Haus noch etwas von Huy zu verspüren?
    Dann erkannte er, woher diese Woge des Selbstmitleids stammte – sie entsprang seinem Unwillen, mit dem nächsten Teil des Buches zu beginnen. Er kämpfte mit mürrischem Fatalismus dagegen an, und am fünften Tag des Tybi, fünf Tage nach dem Fest zur Krönung des Horus, als Ramose ihm ausrichten ließ, er solle seine Sachen packen und zu den Anlegestufen des Tempels kommen, da war er bereit.

10
    Die Reise stromaufwärts nach Chmunu dauerte sechs Tage. Huy fuhr in einer der bequemen Barken des Tempels. Er musste die Kabine nicht mit dem Wächter und dem Diener teilen, die ihn begleiteten. Jeden Abend, wenn er in seinem Bett lag, lauschte er dem Murmeln ihres Gesprächs und schämte sich einerseits, dass er solchen Luxus genoss, und beneidete sie andererseits um die Freiheit, an Deck unter dem Sternenhimmel zu sein. Ihm wären ein weniger vornehmes Schiff und eine Decke neben dem Feuer am Ufer lieber gewesen, aber Ramose hatte auf der Sicherheit bestanden, die eine große Mannschaft bot: »Versprich mir, dass du in der Kabine übernachtest. Deine Sicherheit steht an erster Stelle. Ich werde den Kapitän nach eurer Rückkehr befragen.« Huy hielt sein Versprechen, obwohl es ihm insbesondere am ersten Tag schwerfiel, denn da machten sie am Nordrand der alten Hauptstadt Mennofer fest. Huy war wie geblendet und hätte gern die Stadt der Lebenden am Fluss und die der Osiris-Gleichen westlich von ihr besichtigt, wo sich zwischen Fels und Sand Pyramiden und Mastabas vor dem roten Abendhimmel erhoben. (Mennofer = Memphis liegt am Westufer, hier trennt der Fluss nicht Stadt und Nekropole wie in Karnak/Theben West) Mennofer war das Tor zum Delta. Seine Beamten beherrschten den gesamten Handel und Verkehr auf dem Fluss, im Hafen drängelten sich alle Arten von Wasserfahrzeugen an den Kais, und die Lagerhäuser waren mit Waren vollgestopft. Die Stadt strahlte eine Atmosphäre lärmender Überlegenheit aus. Aus ihren Werkstätten kamen Kriegsschiffe und Waffen, und die Lokalgottheit war der Schöpfergott Ptah. Huy hatte bereits Iunu für eindrucksvoll gehalten, doch Mennofer raubte ihm den Atem.
    Hinter der Stadt bildete der Fluss dann ein einziges, breites Band zwischen stillen Lehmdörfern und dunkler, feuchter Erde, die auf die Saat wartete. Die Bäume, die die randvollen Bewässerungskanäle säumten, glänzten jetzt saftig-grün, und in der Luft hing ein leichter Dunst, der ein angenehmes Gefühl auf der heißen Haut hinterließ. Tagsüber stand Huy an der Reling und betrachtete ein Ägypten, das bislang nur in seiner Phantasie existiert hatte. Am vierten Tag der Reise merkte er, dass sich die Luft veränderte. Obwohl die Landschaft an den Ufern nach wie vor fruchtbar war, trug der trockene, nun von Süden kommende Wind den Duft der Wüsten heran.
    Sie fuhren an der kleinen Stadt Hebenu vorbei, und am Abend des fünften Tages ankerten sie in der Nähe des höher gelegenen Kanals, der sie nach Westen, mitten ins Herz von Chmunu bringen würde. Amunmose, Huys Diener, zeigt auf das Ostufer, wo hinter mit rosa Staub bedeckten Anlegestufen zahllose zerfurchte Pfade zwischen den Bäumen verschwanden. »Sie führen zu dem Arbeiterdorf Hatnub ein Stückchen nördlich«, erklärte er Huy. »Hier legen die Schiffe an, um Alabaster für den König zu laden. Dieser wunderschöne Stein und auch Calcit werden in den Hügeln gebrochen, die du hinter den Bäumen erkennen kannst. Genau im Osten hat man viele alte Gräber in denselben Stein geschlagen. Meine Familie kommt aus Chmunu. Mein Vater ist Kosmetiker, er arbeitet für die Frau eines niederen städtischen Beamten. Ich hatte keine Lust auf sein Handwerk und werde nun in Iunu zum Tempelkoch ausgebildet. Der Oberpriester hat mir erlaubt, dich auf dieser Reise zu bedienen, damit ich meine Verwandten besuchen kann – natürlich nur, wenn du mich nicht brauchst!«
    Früh am nächsten Morgen fuhren sie in einer Reihe mit zahllosen anderen Schiffen in den schmalen Kanal, und Huy hatte den Eindruck, dass sie die Stadt bereits erreicht hatten. Die Pfade zu beiden Seiten der Wasserstraße waren voll mit beladenen Eseln und Fußgängern, überall standen Hütten aus Schilf oder Lehm. »Bis zur

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