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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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weil er Angst hatte und auch den Alltag in der Schule und auf dem Sportplatz nicht aufgeben wollte, aber dann konnte er es nicht länger hinausschieben. An einem stickigen Abend gegen Ende seines Geburtsmonats klopfte er an die Tür des Oberpriesters.
    Ramose war an seinem Arbeitstisch, hatte aber den Stuhl zurückgeschoben, um sein Gesicht in die Windstöße zu halten, die der Windfänger auf dem Dach herunterschickte. Er blieb sitzen, als Huy näher kam und sich verbeugte. »Mit zunehmendem Alter macht mir die Hitze mehr zu schaffen«, seufzte er. »Ich muss den Göttern dankbar sein, dass ich nicht weiter im Süden lebe. Setz dich, Huy. Gieß dir ein bisschen Bier ein. Bist du gekommen, um mir zu sagen, dass du bereit bist, nach Chmunu zu fahren?«
    »Ja«, antwortete Huy zögernd und holte sich den gewohnten Hocker. »Aus dem ersten Teil des Buches kann ich nichts weiter erkennen. Alles ist in meinem Herzen, und ich denke jeden Tag darüber nach. Das meiste habe ich verstanden, aber ich habe auch erkannt, dass es sich nur um einen Teil von etwas Umfassendem handelt.«
    »Der zweite Teil besteht aus nur einer Rolle. Aber du kannst dir so viel Zeit im Thot-Tempel nehmen, wie du willst. Deine Lehrer und Ausbilder berichten mir, dass du ein umsichtiges und ordentliches Mitglied der Hofgemeinschaft bist.« Er lächelte. »Erinnerst du dich noch an das widerspenstige und aufsässige Kind, als das du herkamst? Du hast Selbstbeherrschung und Gewissenhaftigkeit erlangt. Ich bin stolz auf dich.« Seltsamerweise ärgerte Huy das Lob des Oberpriesters. Er schüttelte den Kopf und sagte nichts weiter. »Nun, egal. Der Fluss steigt noch, und die Schule wird noch fast zwei Monate geschlossen bleiben. Es ist also noch Zeit. Ruh dich von dem Buch aus, widme dich deinen anderen Interessen. Ich habe dem Thot-Oberpriester schon geschrieben, dass du kommst, und ich werde einen weiteren Brief an ihn diktieren, den du dann mitnehmen kannst.«
    Huy war erleichtert ob des Aufschubs. »Soll ich allein fahren, Meister?«
    »Gewiss nicht! Du bist viel zu kostbar, als dass man dich allein durch Ägypten reisen lassen könnte! Ich werde einen Tempelwächter und einen persönlichen Diener für dich abstellen. Und nun geh.« Er stand auf. »Ich brauche jetzt ein kühles Bad.« Er kam um den Tisch herum und legte eine Hand auf Huys Kopf. »Gut gemacht«, sagte er leise. »Jetzt erhol dich von den Anforderungen des Baumes.« Huy kehrte mit leichterem Herzen in seine Kammer zurück.
    Es war schön, den ganzen Tag für sich selbst zu haben. Er schwamm im See und in den Kanälen des Tempelbezirks, lag im Schatten der Bäume und döste am heißen Nachmittag. Nachdem Pabast die Lampe gebracht hatte, saß er auf dem Boden seiner Kammer und spielte für sich allein mit seinen Brettspielen, bewegte müßig die Figuren, bis er müde war. Er war glücklich. Und zum ersten Mal seit Monaten fühlte er sich wieder wie die anderen Jungen.
    Begeistert nahm er sechs Tage lang am Amun-Fest des Flussgottes Hapi teil, stand in der Menge am Ufer und sang Dankeslieder für eine reichliche Flut. Zusammen mit Anuket, Nascha und Thutmosis warf er armeweise Blüten auf das Wasser und sah zu, wie sie nach Norden trieben, ein bewegter Teppich voller Duft und in allen Farben. Anuket hatte spezielle Kränze und Girlanden gewunden, Letztere trugen die Familienmitglieder beim anschließenden Festessen in ihrem Elternhaus. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um Huy den Blumenschmuck umzulegen. »Für dich habe ich blaue Seerosen und Sykomoren genommen, denen die gelben Blüten des Bak-Baums ein besonderes Aroma verleihen«, erklärte sie und küsste ihn feierlich auf die Wange. Erst später, als er mit dem Bak-Duft in der Nase gegen die Wand gelehnt auf dem Boden in Nachts Empfangssaal saß und rundum der Trubel brandete, fiel ihm ein, dass sowohl Seerosen als auch Sykomoren Hathor, der Liebes-und Schönheitsgöttin, heilig waren.
    Ihr Festtag fiel auf den ersten Tag von Choiak. Es war das erste einer ganzen Reihe von Ritualen und Feiern, mit denen sich das ganze Land über eine Höhe der Nilschwemme freute, die reiche Ernte versprach. Huy hatte wie jeder andere junge Mann daran teilgenommen. Genau wie Thutmosis und Samentuser und, ja, sogar Sennefer, wo immer er ist. Denn das ist es, was ich bin – ein Jugendlicher auf der Schwelle zum Mann. Bei diesem Gedanken überkam ihn ein ungewohntes Heimweh nach dem bescheidenen Haus seiner Eltern in Hut-Herib und nach Ischats

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