Der Seher des Pharao
Mitte der Stadt sind es drei Meilen«, antwortete Amunmose auf Huys Frage, »und noch weitere zwei bis zu dem Nebenfluss, der hinauf zur Oase Ta-Sche führt. Der Seitenarm ist immer voll mit Schiffen, außer während der Nilschwemme natürlich. Das Land um Chmunu herum ist sehr fruchtbar, und die Ernten sind reich. Es ist ein gesegneter Ort.« Huy blickte nach vorn, wo der Horizont von einem Wald bedeckt zu sein schien. »Unsere Palmen sind berühmt für ihre Dicke und Höhe«, sagte Amunmose stolz.
Langsam nahm die Stadt Gestalt an: palmengesäumte Straßen, von Toren unterbrochene Mauern und über den Baumkronen die hohen Pylone mehrerer Tempel, deren Vorhöfe noch nicht zu erkennen waren. Der Kanal teilte die Stadt und führte weiter zu dem Nebenfluss im Westen, doch Huys Schiff hatte die Kais zum Ziel, wo die Boote bereits dicht an dicht vertäut waren, fand eine Lücke, und der Kapitän warf die Leine einem der Männer am Ufer zu, damit er es festmachte. Der Landungssteg wurde herausgeschoben. Amunmose seufzte zufrieden. »Ich stelle deine Beutel oben auf die Stufen und suche eine Sänfte. Bitte bleib bei deinem Wächter, Huy.« Er verschwand in der Menge, und Huy fühlte sich ziemlich verletzlich und bedroht vom bunten Wirbel der Massen in der gleißenden Morgensonne und vor allem von den dürren Hunden, die hechelnd im Schatten der Anlegestufen oder mitten zwischen den Passanten lagen. Sie hatten kurzes, sandfarbenes Fell, waren absolut friedlich, und keiner kümmerte sich um sie – außer Huy, der sie argwöhnisch beobachtete.
Er hatte bereits zu schwitzen begonnen, als ihm Amunmose aus dem Gedrängel heraus winkte. Er nahm seine abgenutzten Lederbeutel und eilte zu der Sänfte, mit der vier stämmige Träger warteten. Erst als er neben Amunmose darin saß und spürte, dass sie angehoben wurde, und den Wächter neben sich ausschreiten sah, entspannte er sich. Der Lärm der Menge nahm ab, und ein von Sykomoren und Blumenbeeten umgebenes Heiligtum kam langsam in Sicht. Der intensive, süße Duft von Akazienblüten erreichte die Sänfte, und nahezu gleichzeitig rasselte ein zweispänniger Wagen an ihnen vorbei. Der Lenker beugte sich nach vorn, und die Pferde trugen rote Federbüsche. Ein weiterer sandfarbener Hund überquerte die Straße mit hängender Zunge. »Ich habe die Windhunde der Reichen gesehen«, sagte Huy, »und auch ihre Jagdhunde. Aber was für Hunde sind das?«
Amunmose sah ihn verständnislos an, dann lachte er. »Das sind Wüstenhunde. Man kann sie nicht zähmen, aber ihr Wesen ist friedlich. Man findet sie im Süden überall, bis hinauf nach Swenet und zum ersten Katarakt. Sie kommen auf der Suche nach Innereien und anderen Abfällen in die Städte, aber am liebsten sind sie jenseits des Fruchtlands, dort, wo es nur Sand und Steine gibt. Niemand tut ihnen etwas, und sie lassen uns auch in Ruhe. Iunu ist zu weit nördlich, dorthin kommen sie nicht. Ich habe sie schon vermisst.«
Huy schüttelte sich, weil er daran denken musste, wie Imhoteps Finger langsam über den Rücken der Hyäne strichen. »Sind sie heilig?«
»Nein. Man wird nicht bestraft, wenn man aus Versehen einen tötet. Das ist nicht wie bei einem Falken, wo die Todesstrafe auf seine Tötung steht. Sie ähneln weder Seth noch Anubis oder einem der niederen Wolfsgötter. Sie sind einfach liebenswert und halten sich zurück.«
Sie kamen zu einer Kreuzung, an der die Träger scharf nach links in eine Straße abbogen, die von großen, hockenden Pavianen aus Stein gesäumt war. »Das ist die Prachtstraße, die zum Thot-Tempel führt«, sagte Amunmose. »Seine Paviane blicken nach Osten, um beim Sonnenaufgang behilflich zu sein. Gleich kommt Thots mächtiger Pylon.«
Vor ihnen lag ein großer, rechteckiger Torbau mit einem weitläufigen Vorplatz und Rasen, dahinter der gepflasterte äußere Hof. Amunmose ließ die Sänftenträger anhalten. Huy kletterte heraus und nahm seine Beutel, Amunmose schickte die Sänfte weg, und zusammen gingen sie über das Gras und die warmen Steinplatten in den Pylon, an dessen Dach Fahnen im kräftigen Wind flatterten.
Dieser Tempel hat eine ganz andere Atmosphäre als Res Haus, dachte Huy sofort. Irgendwie ist er eindrucksvoller und feierlicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schüler dieser Schule über den Vorplatz rennen. Seine Handflächen begannen zu prickeln, und er hatte das Gefühl, etwas würde über seinen Nacken streifen. Er hob die Hand und rieb die Stelle. Heka. Dieser Tempel
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