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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zurück. Diesmal ehrte er ihn mit einer tiefen Verbeugung. »Meine Herrin ist im Garten. Sie freut sich, dich zu sehen. Bitte folge mir.«
    Er führte Huy um das kleine Gebäude herum in einen unerwartet großen, von einer hohen Mauer umgebenen Garten mit Gras, schattenspendenden Bäumen und sogar einem Seerosenteich. Nachdem er so lange durch kahle, staubige Gassen gelaufen war, wirkte der Anblick von so viel Grün wie ein erfrischender Schluck Wasser auf Huy, und einiges von seiner Müdigkeit schwand, als er zu der Frau ging, die sich bei seinem Näherkommen aufrichtete. Sie war in grobes Bauernleinen gekleidet. Ihre Füße waren nackt, und an beiden Händen klebte feuchte Erde. Lächelnd erwiderte sie Huys ehrerbietigen Gruß.
    »Du sieht beinahe genauso unziemlich aus wie ich!«, gluckste sie. »Bist du den ganzen Weg vom Tempel gelaufen? Ramose hätte dir eine Sänfte besorgen sollen. Isis!« Eine Frau trat aus dem Haus. »Bring uns heißes Wasser und Bier! Und Kissen!« Sie führte Huy in den Schatten unter einer Gruppe Sykomoren. »Ich habe die paar Kräuter, die ich am Teich wachsen lasse, gejätet. Mein armer Haushofmeister geht alle paar Tage zum Fluss und heuert Männer an, die das Wasser auffüllen. Eigentlich eine Torheit. Aber Salat und Lauch zu ziehen, ist ein wunderbarer Ausgleich zu den Strapazen meiner Arbeit.« Als sie seine Verwirrung sah, lachte sie wieder. »Ich habe ein Anwesen am See in Mi-Wer. In der Oase habe ich Vieh, einen Weinberg und einen riesigen Gemüsegarten. Wenn ich in der Stadt bin, werden mir regelmäßig Nahrungsmittel und Wein von dort gebracht. Ich bin nicht arm, Huy. Ich lebe hier bei den einfachen Leuten, damit sie keine Angst haben, zu mir zu kommen, wenn sie von Dämonen befreit werden müssen. Und wenn ich Ruhe brauche, gehe ich heim nach Ta-Sche. Ah, da kommen die Kissen und das Bier. Das heiße Wasser dauert noch.« Die Dienerin legte die Kissen ins Gras, stellte ein Tablett daneben, goss zwei Becher ein und verschwand wieder. Henenu bedeutete Huy, sich zu setzen, und ließ sich mit einem Stöhnen neben ihm nieder. »Meine Glieder werden steif. Ich sollte bald nach meiner Masseurin schicken lassen. Schön, dich zu sehen, Huy. Erzähl mir, wie es dir ergeht.«
    Zunächst berichtete Huy vom Alltag in der Schule. Er hatte vergessen, mit welcher Intensität ihre von tiefen Falten umgebenen Augen einen anschauen konnten, und reagierte verlegen. Doch dann kam das heiße, nach Jasmin duftende Wasser, und nachdem sie sich beide die Hände gewaschen und die Rechet das restliche Wasser über Huys staubige Füße gegossen hatte, war sein Selbstvertrauen zurückgekehrt. Sein Durst war gelöscht, und er sprach nun von dem Buch, wiederholte ohne Fehler alles, was er gelesen hatte, erzählte von seinem Traum und der daraus resultierenden Offenbarung und auch von seiner Leidenschaft für Anuket.
    Henenu legt ihre faltige Hand kurz auf Huys Knie. »Vielleicht hat Ramose Unrecht. Bei dir gibt es so viel, das man nicht einfach in das Kästchen ›Junger Mann‹ einordnen kann. Möglicherweise wirst du Anuket für den Rest deines Lebens lieben.«
    »Oh nein, das hoffe ich nicht!«, rief Huy erschrocken. »Sie mein ganzes Leben lang zu lieben, macht mich für immer zum Gefangenen. Sie wird einen Adeligen heiraten. Dafür wird Nacht sorgen.«
    »Wahrscheinlich.« Henenu schürzte nachdenklich die Lippen. »Und das wäre auch gut. Denn sonst wirst du zwischen deiner Pflicht den Göttern gegenüber und dem Verlangen deines Herzens und deines Körpers zerrissen und kannst keinem richtig dienen.«
    Das hatte Huy noch nicht bedacht. »Also komme ich wohl eines Tages an den Punkt, wo ich keine Wahl mehr habe«, sagte er ärgerlich. »Nun, abgesehen von dem Buch haben mich die Götter wenigstens in Ruhe gelassen. Ich mache Ringkämpfe mit meinen Freunden, berühre unabsichtlich ein Dutzend Leute am Tag, aber meine Sehergabe schweigt.«
    »Genieße den Frieden«, antwortete Henenu. »Er wird nicht andauern. Solange du auf die Schule beschränkt bist, kannst du den Göttern nicht viel nützen. Weißt du, wann du flussaufwärts nach Chmunu fährst, um den zweiten Teil des Buches zu lesen?«
    Huy hatte diese Notwendigkeit zuvor entschieden ausgeklammert. Bislang hatte seine Welt aus Hut-Herib, Iunu und dem Flussabschnitt dazwischen bestanden, und er musste sich eingestehen, dass er Angst davor hatte, in unbekannte Gefilde vorzudringen. »Nein. Und ich habe es auch nicht eilig, nach Chmunu zu kommen.«

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