Der Seher des Pharao
Hauch Verachtung. Plötzlich schämte er sich. Du hast alle deine Haare, hätte er am liebsten gesagt. Du bist auch kein Adeliger. Du bist nur ein Diener, wie Hapsefa.
Der Mann sagte weiter nichts, und obwohl seine Worte als Beleidigung gemeint waren, waren seine Berührungen sanft. Huy saß regungslos da, während seine Haare rundum auf den Boden sanken. Sein Kopf wurde mit Öl eingerieben, dann spürte er, wie ein Messer gekonnt über seine Haut gezogen wurde. Gelegentlich hörte er ein Klimpern, wenn der Mann das Messer in der Schüssel abwusch. Huy hielt den Atem an, wartete auf den scharfen Schmerz eines Schnitts, doch Pabast ließ das Messer ins Wasser fallen und fuhr mit zufriedenem Grunzen über Huys Kopf. Die Prozedur war vorüber.
Pabast stellte ein Ölfläschchen auf den Tisch. »Anfangs wird deine Haut jucken. Und sei vorsichtig in der Sonne. Reib deinen Kopf öfter mit dem Öl ein. Ich komme jede Woche, um dir den Kopf zu rasieren. Und vergiss nicht, deine Jugendlocke jedes Mal einzuölen, wenn du badest. Die Haare sind noch nicht lang genug zum Flechten, und ich habe auch keine weiße Schleife für dich dabei. Ich bringe sie dir später.«
Ich mag dich nicht, wollte Huy ihn anschreien. Und ich will nicht wie ein Mädchen eine Schleife tragen.
Als Harnacht zurückkehrte, saß Huy auf seinem Bett und hatte die Hände zwischen seine bloßen Knie geklemmt. Der ältere Junge musterte ihn kritisch. »Ich habe vergessen, dir das zu sagen«, entschuldigte er sich. »Es steht dir, Huy. Eines Tages wird jedes Mädchen, das du kennst, zu Hathor darum beten, einen einzigen Blick aus deinen großen Augen zu erhaschen. Komm, ich zeige dir jetzt das Badehaus.«
Der Rasen draußen vor der Kammer war voll mit Jungen jedweden Alters. Manche trugen einen Schurz, andere waren nackt. Sie hockten in Gruppen zusammen, saßen paarweise nebeneinander oder lagen lässig ausgestreckt im Gras. Huy beschloss, sich nicht an seiner eigenen Nacktheit zu stören, obwohl er sich den bissigen Kommentar seiner Mutter ob dieser Unschicklichkeit vorstellen konnte. Selbst im heißesten Sommer bestand sie darauf, dass er ein Lendentuch trug. Seine Eltern hatte er niemals nackt gesehen, und er hatte keine Ahnung, wie seine Mutter oder Hapsefa aussahen. Ischat trug auch immer einen dicken Schurz, aber ihre Brust war ebenso flach wie seine. Nun starrte er die älteren Jungen offen an und fragte sich, ob sein eigener Penis eines Tages auch so rund wäre und baumeln würde.
Einer dieser älteren Jungen eilte mit einem viel kleineren im Schlepptau zu Harnacht. Huy hielt ihn für etwa gleich alt. »Das ist mein Freund Kay«, sagte Harnacht. »Und sein Schutzbefohlener Thutmosis. Wie macht er sich, Kay?«
Kay verdrehte die Augen. »Er hat keinerlei Orientierungssinn. Dreimal musste ich ihn schon aus dem Tempelgang retten, weil er nach dem Badehaus die falsche Richtung eingeschlagen hat. Ich hoffe, du bist da besser!« Er sah Huy an.
Harnacht stellte sie einander vor und wandte sich dann an Thutmosis. »Das ist Huy, mein Schutzbefohlener. In einem Monat werdet ihr beiden euch die Kammer teilen, und Kay und ich können nachts wieder in der Küche einfallen.«
»Ich wurde nach unserem großen König Thutmosis benannt«, erklärte Thutmosis Huy mit großer Würde.
Kay lachte. »Das erzählt er jedem, den er kennenlernt. Du bist ein feierlicher kleiner Kerl, nicht wahr, Thutmosis? Doch wir müssen jetzt zurück in unsere Kammer.«
Gehorsam nahm der Junge seine Hand, doch im Weggehen drehte sich Thutmosis noch einmal um. »Ich bin froh, dass noch ein anderer Junge neu in der Schule ist, und ich freue mich darauf, die Kammer mit dir zu teilen, Huy!«, rief er.
»Seine Manieren sind ausgezeichnet«, kommentierte Harnacht. »Er verbeugt sich vor jedem Erwachsenen, egal, welchen Standes. Er hat sich beim ersten Mal sogar vor mir verbeugt. Sein Vater ist der Fürst dieses Sepats, des dreizehnten von Unterägypten, und hält eine gute Ausbildung zu Recht für die wichtigste Mitgift eines Kindes. Thutmosis könnte nachmittags nach Hause gehen, aber seine Eltern möchten, dass er alles mitmacht, was die Schule bietet. Er ist in gewisser Weise wie ein Schoßhund.«
Huy beschloss auf der Stelle, auch zum Schoßhund zu werden. Man hatte ihm nicht beigebracht, sich vor irgendjemandem außer vor dem Chenti-Cheti-Priester zu verbeugen.
Das Badehaus befand sich ein Stück den Gang hinter dem Allerheiligsten entlang in einem anderen Hof. Es handelte sich um
Weitere Kostenlose Bücher