Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
Vormittagsunterricht ist beendet, und die Schüler sind beim Mittagessen. Und das ist also Huy.« Er beugte sich herunter und blickte in Huys Gesicht. »Was für ein hübscher Junge. Die Ähnlichkeit mit dir ist unverkennbar, Ker. Ich bin der Vorsteher Harmose, Huy. Bist du hungrig?« Die Frage überraschte Huy. Die dunklen Augen des Mannes waren von Lachfalten umgeben, und Huy konnte sein Jasminöl riechen. Er nickte. »Gut. Heute musst du noch nicht mit den anderen Jungen essen. Wir gehen in meine Kammer.«
    Er geleitete sie zu der Tür, durch die er gekommen war, und in einen schmalen Flur. Huy bemerkte, dass dieser am Allerheiligsten vorbei und dann dahinter verlief, wo eine weitere Tür in einen großen, mit Gras bewachsenen Hof führte, der von Wohnquartieren umgeben war. In der Mitte befand sich ein Fischteich. »Hier wirst du wohnen«, erklärte Harmose Huy. »Deine Klassenkameraden sind noch im Speisesaal. Die Lehrer wohnen ebenfalls hier. Sie haben, genau wie ich, auch Pflichten im Tempel.«
    Sie folgten ihm quer über den Rasen und am Teich vorbei zu einem Durchgang im hinteren Gebäude, der sie zu einem weiteren Garten brachte. Mehrere kleine Häuser standen am Rand, und Harmose bat sie in das nächstgelegene. Ein Mann, der den gefliesten Boden fegte, hielt inne und verbeugte sich. »Geh in die Küche und hol uns, was immer die kleinen Heuschrecken übrig gelassen haben, Amunmose«, befahl der Vorsteher. »Und einen Krug Wein. Komm nach hinten in mein Empfangszimmer, Ker. Du kannst dich setzen, Huy«, sagte Harmose, und Huy ließ sich dankbar auf eines der Kissen auf dem Boden sinken. Obwohl seine Knie von der Anstrengung zitterten, war ihm klar, dass er sich wahrscheinlich eine Zurechtweisung eingehandelt hätte, wenn er sich ohne zu fragen wie zu Hause einfach auf ein Kissen geworfen hätte. Sein Onkel und der Vorsteher nahmen auf Stühlen Platz und sprachen über Kers Reise, die zufriedenstellende Nilschwemme, die Lage des Parfümhandels und andere Erwachsenenangelegenheiten. Huy lauschte gelangweilt ihren Stimmen.
    Das Essen erwies sich als schmackhaft, auch wenn das meiste für Huy neu war. Es gab eine heiße, scharfe Suppe, auf der Mohnblüten schwammen und ein Brot mit Mohnkörnern. Auf kaltes, eingelegtes Gemüse mit gehacktem, getrocknetem Dill und schwarzem Pfeffer folgte gebratenes Rindfleisch – etwas, das sich Huys Vater selten leisten konnte – zusammen mit Kichererbsen in einer Ingwer-Knoblauch-Sauce. Zum Schluss bot Harmose ihnen eine Schale mit Nüssen an, die Huy noch nie gesehen hatte. »Das sind Mandeln«, sagte der Vorsteher. »Ein besonderer Leckerbissen für uns. Dem Oberpriester ist es gelungen, eine der kostbaren Mandelbäume in seinem Garten aufzuziehen, und gelegentlich gibt er dem Tempelpersonal etwas von den Nüssen ab. Einen großen Sack schickt er immer nach Weset.« Huy nahm sich eine Mandel und zerbiss sie. Er kam zu dem Schluss, dass er Mandeln sehr mochte. Der Vorsteher erhob sich, ging zur Tür und rief: »Amunmose, hol mir Harnacht.« Er bedeutete Huy aufzustehen. »Es wird Zeit, dass du dich von deinem Onkel verabschiedest«, sagte er freundlich. »Harnacht wird sich um dich kümmern.«
    Ein letztes Mal breitete der Onkel die Arme aus. Huy warf sich hinein und vergrub seinen Kopf an Kers Hals, doch er wollte keinesfalls zulassen, dass ihn die Angst überwältigte. Die Augen seines Onkels waren feucht, als er ihn auf den Boden setzte. »Ich werde dich vermissen, Huy. Aber wenn ich an meine eigene Schulzeit denke, weiß ich, dass dieser Tempel bald dein zweites Zuhause sein wird. Mögen alle Götter dich segnen.«
    Huy blinzelte seine Tränen weg und hoffte, dass er sich nicht vor dem Vorsteher, einem Fremden, blamieren würde. Schritte im Nebenzimmer waren seine Rettung. Ein Junge von vielleicht elf oder zwölf Jahren erschien in der Tür. Er war groß und knochig, hatte längliche Gesichtszüge, die zu seinem mageren Körper passten, und Ohren, die grotesk von seinem rasierten Schädel abstanden. Doch der Blick, mit dem er Huy musterte, war mitfühlend.
    »Das ist unser neuer Schüler Huy«, sagte der Vorsteher. »Huy, das ist Harnacht. Du wirst für eine Weile die Kammer mit ihm teilen. Es ist seine Pflicht, sich während des nächsten Monats um dich zu kümmern. Los, ihr beiden.«
    Harnacht griff sich Huys Habseligkeiten, nickte ihm zu und war schon auf dem Rasen. Huy rannte rasch hinterher, weil er plötzlich Angst bekam, der andere könnte hinter einer Ecke

Weitere Kostenlose Bücher