Der Seher des Pharao
vorsichtiger. Er schrieb, dass er Methen gern als Schreiber diene, bekundete seine Dankbarkeit Ramose wie der Schule gegenüber, dass er diese ausgezeichnete Ausbildung machen konnte, die es ihm jetzt ermöglichte, seinem Gewerbe nachzugehen, und schloss mit dem Versprechen, ihn zu besuchen, wenn es ihm seine Zeit erlaubte, nach Iunu zu kommen. Der eigentliche Sinn der sorgfältig gewählten Worte war höflich, aber klar: Ich bin glücklich, ich bin dankbar, aber ich habe selbst entschieden, wie mein Leben verlaufen soll, und habe nicht vor, mich wieder in Abhängigkeit zu begeben. Beide und auch Thutmosis schrieben ihm erneut, und so wurden die Briefe aus Iunu und die Notwendigkeit, sie zu beantworten, Teil von Huys Alltagsleben. Die Erinnerungen verloren ihren Stachel, und häufig merkte er, dass er ganz in der Gegenwart lebte. Langsam verspürte er Erfüllung.
17
Als die Nilschwemme langsam zurückging, begannen Huys Träume. Wie das zurückweichende Wasser schienen die Qualen des vergangenen Jahres in der Dunkelheit davonzufließen und ließen seinen schlafenden Geist brach zurück. Wieder war er in der Halle der beiden Wahrheiten und starrte in das helle Sonnenlicht, das durch die breiten Türen hereinfiel, und Anubis und Maat standen unsichtbar hinter ihm. Danach kniete er vielleicht vor Imhotep, während die Blätter des Isched-Baums über ihm murmelten und ihr Duft ihn berauschte. Imhotep war immer beim Lesen, vertieft in das Buch Thot, wie Huy wusste, und nahm ihn nicht wahr.
Einmal befand er sich am Ufer eines breiten Flusses, dessen weiter Bogen mit den kleinen Sandbuchten zwischen Palmenhainen ihn an einen Stromabschnitt erinnerte, den er auf dem mühsamen Weg nach Hut-Herib entlang gegangen war, ehe er den Seitenarm erreichte. Aber das Wasser war blau wie der strahlende Himmel, nicht braun, der Sand so golden, dass er schimmerte, und die Palmwedel hatten ein frisches Grün. Am gegenüberliegenden Ufer zog eine Prozession vorbei. Die Männer trugen leuchtend weiße Schurze, die Frauen rotes und gelbes Leinen. Ihre Arme waren schwer von bunten Edelsteinen, und die geölten Flechten ihrer Perücken glänzten von Gold. Der Zug bewegte sich langsam und majestätisch. Huy konnte sehen, dass sie lächelten und miteinander sprachen. Er rief über die glitzernden Wellen hinweg, die Hände um den Mund gelegt, aber anscheinend hörten sie ihn nicht. Bald bogen sie auf einen Pfad ab, der in die beigen Hügel führte. Huy beobachtete, wie sie kleiner und kleiner wurden, bis ihre anmutigen Gestalten verschwunden waren.
Er stand zwischen duftenden Wildblumen – hohen Malven, kräftig blauen Kornblumen, winzigen orangefarbenen Astern und leuchtend weißem Schlafmohn – und fühlte sich warm und ruhig. Lotosblüten konnte er nicht sehen, aber ihr Duft sättigte die Luft geradezu. Die Sonne schien mild auf seinen Kopf, und das Gras umschmeichelte seine bloßen Füße. Als er seinen Zopf nach vorn zog, überraschte es ihn nicht, dass sein bescheidener kleiner Frosch golden glänzte. Seine Brust und seine Hände waren nackt, die Amulette und das Sa waren verschwunden.
Aus diesen Träumen zu erwachen, fiel ihm zunehmend schwer. Er erinnerte sich, wie ihm nach seiner Rückkehr von den Toten, als seine Sinne übervoll von den Freuden des Paradieses waren, der Anblick der sterblichen Welt eintönig und farblos, die Gerüche schwach und leicht faulig und sein Essen wie Asche erschienen waren. Nur langsam hatte sich sein Körper an die Rückkehr gewöhnt, und unter der Last weltlicher Sorgen waren die Eindrücke aus Osiris’ Reich allmählich verblasst. Doch nun stand ihm der Ort der Osiris-Gleichen wieder mit derselben Kraft vor Augen, und jeden Morgen erfüllte ihn die Trauer um den Verlust, wenn er sich zwingen musste, seine Augen zu öffnen und in sein winziges dunkles Zimmer mit der unebenen, getünchten Decke zu schauen.
Er hatte eigentlich nicht mit Ischat darüber sprechen wollen, aber wie immer konnte er ihr nichts verschweigen. Er erzählte ihr, dass seine nächtlichen Visionen zunehmend realer und damit quälender wurden. »Und dazu noch das Buch Thot«, schloss er. »Imhotep liest das Buch, und wenn er es ausbreitet, taumeln die Worte durch meinen Geist. Ich dachte, ich könnte es vergessen, aber nein, es kommt zurück. Jedes Zeichen. Jeder rätselhafte Satz.«
Ihre Augen verengten sich. Sie saßen sich am Tisch gegenüber. Die Abendsonne fiel durch die Tür und tauchte Ischats Schulter und einen Arm in
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