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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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tiefer der schreckliche Kampf ihres unregelmäßig schlagenden Herzens. Noch weiter unten sah er ihr Essen, Stücke weißen Lauchs, braune Bohnen, leuchtend rote, zerkaute Erbsen und jenseits von ihrem Magen den raschen Strom gelben Durchfalls. Er hatte, falls überhaupt etwas geschah, mit einer Vision ihres Todes gerechnet. Dieses heiße, den Atem abschnürende Gefängnis, das ihr Körper war, kam unerwartet. Vergeblich versuchte er, Luft zu holen.
    »Sei gegrüßt, Sohn des Hapu, das unwilligste Werkzeug des mächtigen Atum!« Huy hörte Anubis’ Stimme so deutlich, dass er zusammenzuckte. »Dieses Kind ist noch nicht für die Halle der beiden Wahrheiten vorgesehen. Ich sage dir, was du seinen Vater zu fragen hast. Und dann erklärst du ihm genau, was er tun soll. Atums Auge hat sich dir endlich zugewandt, stolzer Huy. Aber das wusstest du schon.« Die Stimme des Gottes war warm und freundlich.
    Huy hörte zu, was Anubis ihm auftrug, derweil lagen seine Augen auf dem stinkenden Uchedu, das aus dem fiebernden Körper floss. Huys Lungen drohten zu bersten, und als er meinte, schreiend um sich schlagen zu müssen, um diesem grauenhaften Ort zu entkommen, fand er sich am ganzen Leib zitternd zusammengekrümmt vor dem Bettchen wieder. Ischat war neben ihm.
    »Sei ganz ruhig«, sagte sie. »Du hast etwas gesehen, nicht wahr, Huy? Kannst du reden?«
    Huy nickte und blickte in die beiden angespannten Gesichter über ihm. Hathor-Chebits Atem kam jetzt stoßweise. »Iri«, fragte Huy, »welcher Tätigkeit gehst du nach?«
    Iri runzelte die Stirn. »Ich bin Gärtner«, sagte er brüsk. »Ich versorge die Gärten von mehreren Adeligen in Hut-Herib. Doch jetzt ist gewiss nicht die Zeit für alberne Fragen!«
    »Nimmst du deine Tochter mit, wenn du arbeitest?«
    »Manchmal.«
    »Vor drei Tagen hat deine Tochter die Samen der Paternostererbse gegessen. Du weißt sicher, wie giftig die sind. Deshalb steckt ihr Essen unverdaut im Magen, ist ihr Mund voller Geschwüre, kann ihr Herz nicht gleichmäßig schlagen. Sie übergibt sich, kann das Uchedu aber nicht ausscheiden. Es fließt als Durchfall aus ihr heraus, aber die Erbsen bleiben.«
    Die Frau kreischte und begann, ihr Gewand zu zerreißen. »Meine eigene Unvorsichtigkeit ist schuld!«, schrie Iri. »Ich bin der Mörder meiner Tochter!«
    Ischat stützte sich auf Huys Schulter und erhob sich. »Sei still!«, herrschte sie die Frau an. »Hathor-Chebit ist noch nicht tot. Warum also zerreißt du deine Kleider?« Die Mutter des Mädchens hörte daraufhin auf zu kreischen und begann zu wimmern.
    Huy wollte auch aufstehen, aber das gelang ihm nicht. Also blieb er auf dem Boden hocken. »Du musst Folgendes tun«, sagte er zu Iri. »Grab hier eine kleine Grube, und entzünde ein Feuer. Geh hinaus und hol dir einen kleinen Oleanderzweig. Nur einen kleinen. Schneid ihn in Stücke und verbrenne ihn, sodass deine Tochter den Rauch einatmen kann.«
    Iri schreckte zurück. »Jeder Gärtner weiß, dass bei Oleander alle Teile todbringend sind – Holz, Blätter, Blüten, sogar sein Seim und der Rauch. Was willst du also?«
    »Der Rauch wird ihren Herzschlag stabilisieren. Ein kleiner Zweig, nicht mehr. Und du …«, er sah in das tränenverschmierte Gesicht der Frau, »… flößt deiner Tochter vier Ro Rizinusöl und dann einen kleinen Becher Aloesaft ein, während dein Mann Feuer macht. Das wird sie nicht erbrechen. Wartet dann eine Stunde. Habt ihr eine Sanduhr?« Die Frau nickte. »Gut. Gebt ihr nach einer Stunde eine Mischung aus einem Ro gemahlener Kesso-Wurzel und zwei Ro Ingwer, Erstere lässt sie schlafen, Letzterer reinigt ihren Magen. Sorgt weiterhin dafür, dass sie sauber ist, und wascht sie regelmäßig. Das ist alles.«
    Huy sah ein wenig Hoffnung in den verschwollenen Augen aufkeimen. »Meister, ich habe weder Kesso noch Ingwer.«
    »Geh sofort zu dem Arzt, den ihr anfangs geholt habt. Versprich ihm, was er will, aber lasst euch die Sachen geben. Eure Tochter wird leben.« Huy fühlte sich jetzt besser. Er spürte, wie die Kraft in seine Beine zurückkehrte, und stand auf. »So, und jetzt muss ich mich um meine Arbeit kümmern!«
    Iri sagte nichts von Bezahlung, und Huy kam nicht auf die Idee, danach zu fragen. Er wollte nur weg, schob sich an dem Mann und der Frau vorbei, lief durch den Flur und das Empfangszimmer und sog die relativ frische Luft ein. Die Menschenmenge hatte er vergessen. Erwartungsvolle Stille begrüßte ihn, als er, gefolgt von Ischat, hinaustrat. Mit

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