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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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umzingelte ihn. Er spürte, wie ihm die Entscheidungsmöglichkeiten entglitten. Er brach plötzlich in Schweiß aus, der den Bund seines Schurzes durchnässte. »Ich bin kein Adeliger«, stieß er hervor. »Und ich bin auch kein Arzt. Lass mich meiner Wege gehen.«
    »Aber du hast die Götter gesehen«, hielt Iri atemlos dagegen. »Du warst vor ihrem Antlitz. Gewiss werden sie dir zuhören, dem, den sie wieder ins Leben geschickt haben, wenn du für meine Tochter bittest. Du bist ausgezeichnet unter allen Menschen!«
    Ein zunehmendes Gemurmel machte sich in der Menge um sie herum breit. »Er ist es!«, hörte Huy jemanden sagen. »Der Wiedergeborene!«, rief jemand anders. »Er ist nach Hut-Herib zurückgekehrt!«
    »Geh und heil das Mädchen!«, verlangte eine Frau. Sie drängte sich nach vorn und sah Huy empört an. »Das ist deine Pflicht!«
    »Es ist nicht meine Pflicht!«, schrie Huy sie an. »Ich bin kein Heiler, ich bin Schreiber. Meine Kindheit ist vorbei. Ich war verletzt, das ist alles. Ihr solltet nichts auf dumme Gerüchte geben!«
    Daraufhin kam die Menge erbost näher. Fäuste wurden geballt, und ein kleiner Stein flog. Er traf Huy am Ohr. Wütend fasste er sich an das blutende Ohrläppchen und wollte sich auf seinen Angreifer stürzen, doch ein Arm legte sich fest um ihn und Ischat flüsterte: »Ich habe den Aufruhr bis ins Haus gehört. Wir müssen mit dem Mann gehen. Sonst blutet mehr als nur dein Ohr. Du schaust dir das Mädchen an, dann stirbt es, und du wirst nie wieder auf diese Weise belästigt werden.«
    Huy knirschte mit den Zähnen. »Na gut«, brachte er heraus. »Iri, führ mich zu deinem Haus, und zwar schnell. Sonst reißen mich diese Bastarde noch um des Heilens willen in Stücke!«
    Ischat fasste ihn an der Hand. Iri bahnte ihnen den Weg durch die Menge, die ihnen folgte. »Es tut mir leid, edler Herr«, sagte Iri über die Schulter. »Ich wollte dich nicht der Neugier der Leute aussetzen.« Huy erwiderte nichts.
    Zum Glück war Iris Haus nur eine Straße entfernt, und schon bald bogen sie durch die türlose Öffnung einer hüfthohen Lehmziegelmauer. Die Menge drängte nach, stand auf dem schmalen Streifen zwischen der Mauer und Iris Haustür. In mehreren Tontöpfen wuchsen Kräuter und Blumen, wie Ischat Huy später erzählte. Iri führte sie ins Haus und schloss die Tür fest hinter sich. Sie waren in ein kühles und bescheidenes, aber hübsch eingerichtetes Empfangszimmer gelangt, doch Iri eilte weiter in einen schmalen Gang und dann nach links in das Krankenzimmer.
    Es stank nach schalem Räucherharz, Erbrochenem und Exkrementen. Auf dem Boden standen mehrere Schüsseln, und Huy merkte, dass der Geruch aus ihnen kam. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Kinderbett, daneben ein Tisch mit einer brennenden Lampe. An dem Bett kniete eine Frau und wrang ein dampfendes Tuch aus. Als die drei hereinkamen, stand sie auf und wandte ihnen ein bleiches, verhärmtes Gesicht zu. Ihre Augen fanden Huy. »Oh, den Göttern sei Dank, du hast ihn gefunden!«, rief sie. Mit drei unbeholfenen Schritten war sie bei Huy und fuhr mit ihrem heißen, feuchten Finger an seinem Kinn, der Nase und den Augenbrauen entlang. »Du lebst«, sagte sie mit leiser Stimme. »Wiedergeborener. Das ist meine Tochter.« Sie begann zu weinen. »Sie heißt Hathor-Chebit. Wenn du die Götter bittest, werden sie sie heilen.«
    Huy drehte sein Gesicht mit einem Ruck weg von den tastenden Fingern und ging mit einem Gemisch von Auflehnung und Hilflosigkeit zu dem Bettchen. Ich werde bei diesem albernen Spiel mitmachen. Ischat hat wie immer recht. Das Kind wird sterben, und dann lässt man mich in Ruhe. Linkisch kniete er sich hin, und Hathor-Chebits kleiner Kopf drehte sich zu ihm. Das Kissen war fleckig. Die Haare des Kindes waren nass und zerzaust. Das Gesicht war fahl und aufgedunsen, und als das Mädchen den Mund öffnete und versuchte, etwas zu sagen, ließ sein Atem Huy würgen. Hathor-Chebits Augen flehten ihn stumm an, als er die heiße Hand nahm, und in diesem Moment wünschte sich Huy, dass es wahr sei, dass er tatsächlich die Göttergabe zu heilen besäße.
    »Hathor-Chebit«, begann er langsam, und sobald er den Namen ausgesprochen hatte, setzte der Schwindel ein. Seine Finger krallten sich um ihre Hand. Ihr Gesicht wurde größer, kam näher, warf sich auf ihn, sodass er unwillkürlich zurückschreckte. Und dann schien er in ihr Inneres zu blicken. Alles war rot, in ihrem Mund ein Wald nässender Geschwüre,

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