Der Seher
erschien eine Delegation von Anwälten der Ölgesellschaften in seinem Büro, um in ihrer höflich-öligen Weise einen aufreibenden Kampf vor Gericht für den Fall anzukündigen, daß er nicht sein Veto gegen das Gesetz einlege. Quinn ließ mich holen, und wir hatten ein zweiminütiges Gespräch. »Will ich dieses Gesetz wirklich?« fragte er, und ich sagte: »Und wie!«, und er schickte die Öl-Anwälte fort. Bei der Unterzeichnung hielt er eine improvisierte und leidenschaftliche zehnminütige Rede zugunsten einer nationalen Gelierungsvorschrift. Es war ein lahmer Tag für die Medien, und so erschien das Herzstück von Quinns Rede, ein schwungvoller zweieinhalbminütiger Ausschnitt über die Vergewaltigung der Umwelt und die Entschlossenheit des Menschen, sich damit nicht passiv abzufinden, in den abendlichen Nachrichtensendungen des ganzen Landes.
Der Zeitpunkt war perfekt gewählt. Zwei Tage später wurde der japanische Supertanker Exxon Maru vor der Küste Kaliforniens gerammt und brach in wahrhaft spektakulärer Weise entzwei; die Gelierungsanlage funktionierte nicht, und Millionen Liter von Rohöl verpesteten die Küste von Mendocino bis Big Sur. Am Abend desselben Tages widerfuhr einem Tanker aus Venezuela, der nach Port Arthur, Texas, unterwegs war, ein mysteriöses Unglück im Golf um Mexico, das eine Ladung ungelierten Öls über die Ufer des Wildtierreservats der Trompetenkraniche in der Nähe von Corpus Christi verschüttete. Am nächsten Tag kam es zu einem schlimmen Ölaustritt irgendwo vor der Küste Alaskas; und gerade so, als wären diese drei 01-katastrophen die ersten, die die Welt je gesehen hätte, klagte plötzlich jedermann im Kongreß über Umweltverschmutzung und redete über Gelierungspflicht – und sehr häufig wurde Paul Quinns nagelneues New Yorker Gesetz erwähnt: als Prototyp für das geforderte Bundesgesetz.
Gilmartin.
Gelierung.
Ein Tip blieb übrig: Noch vor Sommer Socorro für Leydecker. Macht euch frühzeitig an ihn ran, Rätselhaft, undurchsichtig wie die meisten Orakelsprüche. Dieser war für mich eine vollkommene Sackgasse. Keine der stochastischen Techniken, die ich beherrschte, warf irgendeine nützliche Projektion ab. Ich kritzelte ein Dutzend Szenarios aufs Papier, und alle waren sie wirr und sinnlos. Was für ein Berufsprophet war ich, wenn ich von drei handfesten Hinweisen auf zukünftige Ereignisse nur einen mit meinen Künsten auswerten konnte?
Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, ich sollte Carvajal einen Besuch abstatten.
Bevor ich jedoch irgend etwas unternehmen konnte, rollten verblüffende Nachrichten aus dem Westen heran. Richard Leydecker, Gouverneur von Kalifornien, nomineller Führer der Neuen Demokratischen Partei, Spitzenanwärter auf die Präsidentschaftsnominierung, fiel am Memorial Day auf einem Golfplatz in Palm Springs im Alter von siebenundfünfzig Jahren um und war mausetot; sein Amt und seine Macht gingen an Vizegouverneur Carlos Socorro über, der damit, vermöge seiner Kontrolle über den wohlhabendsten und einflußreichsten Staat der Union, zu einer machtvollen politischen Kraft im Lande wurde.
Socorro, der nun die riesige kalifornische Delegation auf dem nationalen Konvent der Neuen Demokraten im nächsten Jahr anführen würde, begann schon auf seiner allerersten Pressekonferenz, zwei Tage nach Leydeckers Tod, sich als Königsmacher in Szene zu setzen. Es gelang ihm, apropos von praktisch nichts, darauf hinzuweisen, daß er Senator Eli Kane aus Illinois für den vielversprechendsten Präsidentschaftskandidaten hielte, den die Neuen Demokraten nächstes Jahr nominieren könnten – womit er sofort einen Kane-for-President-Rummel in Gang setzte, der in den nächsten paar Wochen überwältigend werden sollte.
Ich selbst hatte an Kane gedacht. Als die Nachricht von Leydeckers Tod eintraf, war meine erste Kalkulation die, daß Quinn jetzt um die Spitzennominierung pokern sollte, nicht mehr nur um die Vizepräsidentschaft – warum nicht nach der zusätzlichen Publizität greifen, jetzt, wo wir keinen mörderischen Kampf mit dem allmächtigen Leydecker mehr zu fürchten hatten? –, daß wir die Dinge aber immer noch so einrichten sollten, daß Quinn auf dem Konvent gegen einen älteren und weniger glanzvollen Mann unterläge, der dann im November von Präsident Mortonson gebeutelt werden würde. So würde Quinn die Bruchstücke der Partei erben, die er bis 2004 für sich wieder aufbauen könnte. Jemand wie Kane, ein distinguiert aussehender,
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