Der Seitensprung
unwiderstehlicher Frauenheld am Leben erhielten, während Jonas ihn zu Hause schützte. Ständige Lügen, die bald vom zunehmenden Druck überlagert wurden, die angstdämpfenden Rituale auszuführen. Und dann neue Lügen, um den Zwang zu verbergen.
Wie oft hatte er über all diese Frauen nachgedacht. Wer waren sie, wie dachten sie? Wussten sie, dass es irgendwo eine Ehefrau und einen Sohn gab, die auf den Mann warteten, dem sie zu Willen waren? Spielte das eine Rolle für sie? Scherten sie sich darum? Warum gaben sie ihren Körper einem Mann hin, der sie bloß flachlegen wollte, um anschließend nach Hause zu eilen und sie vor der Ehefrau zu verleugnen?
Er hatte es nie verstanden.
Er wusste nur, dass er jede Einzelne von ihnen hasste.
Hasste.
Die Seifenblase zerplatzte einige Monate vor seinem achtzehnten Geburtstag. Etwas so Triviales wie ein bisschen Lippenstift auf dem Hemdkragen. Nach fünf Jahren der Lüge wurde der ständige Betrug aufgedeckt, und sein Vater hatte wie ein verängstigter Hase die Mitwisserschaft von Jonas dazu genutzt, sich vor ihrem Schmerz zu schützen. Um nicht die ganze Schuld allein tragen zu müssen.
Sie konnte keinem von ihnen jemals verzeihen.
Sie war doppelt hintergangen worden.
Die Wunde, die sie ihr geschlagen hatten, war so tief, dass sie niemals heilte.
Er war nach dem Auszug des Vaters in der Stille des Hauses zurückgeblieben, bewachte sie aus der Distanz in den verwüsteten Zimmern. Ein Gestank von Scham und Hass überlagerte alles. Sie weigerte sich, mit jemandem zu sprechen. Tagsüber verließ sie selten ihr Schlafzimmer, und wenn sie es tat, dann nur, um zur Toilette zu gehen. Jonas versuchte, den Betrug wieder gutzumachen, indem er sich um die Einkäufe und andere Besorgungen kümmerte, aber sie kam nie heraus zum Esstisch, wenn er ihre Mahlzeiten zubereitet hatte. Jede Nacht um halb drei machte er sich mit dem Moped auf den Weg zu seinem Job als Zeitungsausträger, und wenn er gegen sechs nach Hause kam, konnte er sehen, dass sie sich etwas zu essen aus dem Kühlschrank genommen hatte. Das Geschirr, das sie benutzt hatte, stand sorgfältig abgewaschen im Abtropfgestell.
Aber zu ihm sagte sie kein Wort.
»Ich habe jetzt keine Zeit zu reden.«
Er beendete das Gespräch per Knopfdruck und lehnte sich vornüber auf das Lenkrad.
Das ist die dritte Embolie in zwei Monaten. Und jedes Mal verringert sich ihr Bewusstsein.
Wie konnte sie ihm das antun? Was verlangte sie denn noch von ihm, damit sie blieb? Er würde mit der Einsamkeit in der Wohnung nicht fertig werden. Nicht heute Abend.
Er warf einen Blick über seine Schulter und legte den Rückwärtsgang ein. Wohin er unterwegs war, wusste er nicht.
Er wusste nur eines.
Wenn sie ihn nicht bald anfasste, würde er verrückt.
ES FIEL EVA SCHWER, sich zu erinnern, wann sie zuletzt vorzeitig ihren Arbeitsplatz verlassen hatte. Falls es jemals vorgekommen war. Da Henrik zu Hause arbeitete, konnte er sich kurzfristig auf den Weg zum Kindergarten machen und Axel abholen, wenn er krank wurde. Dies war mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, denn sie sorgte für den größten Teil ihres gemeinsamen Einkommens, seitdem sie Teilhaberin war. Aber sie versuchte, spätestens um sechs nach Hause zu kommen. Heute würde sie ihn überraschen und noch früher da sein.
Niemand konnte behaupten, dass sie im Laufe des Tages besonders viel geschafft hatte. Die Augen waren auf strukturelle Rationalisierungspläne und Rentabilitätskalkulationen gerichtet, aber ihre Gedanken wurden von der zermürbenden Unruhe beherrscht. Ein Gefühl von Unwirklichkeit. Er hatte plötzlich das einzig Selbstverständliche infrage gestellt.
Die Familie.
Alles andere war austauschbar.
Sie hob den Blick vom Monitor und guckte aus dem Fenster. Das Einzige, was sie sah, war die Fassade auf der anderen Straßenseite der Birger Jarlsgatan. Ein anderes Büro mit anderen Menschen, sie hatte keine Ahnung, woran sie arbeiteten, sie kannte keinen von ihnen. Die meisten Stunden des Tages, Tag für Tag, Jahr für Jahr, verbrachten sie dreißig Meter voneinander entfernt. Sahen einander öfter als die eigenen Familienmitglieder.
Ein Arbeitstag von neun Stunden, wenn sie die Mittagspause nicht wieder aufholte, anderthalb Stunden Fahrtzeit im Stoßverkehr. Damit blieben ihr knapp anderthalb Stunden am Tag mit Axel, anderthalb Stunden, in denen er nach acht Stunden mit zwanzig anderen Kindern im Kindergarten müde und weinerlich war, genauso müde und
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