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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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weinerlich wie sie nach neun Stunden voller Anforderungen und Stress bei der Arbeit. Und gegen acht, wenn er eingeschlafen war, dann sollten Henrik und sie ihre gemeinsame Zeit nutzen. Die Stunde für die Erwachsenen. Da sollten sie in aller Ruhe zusammensitzen und dafür sorgen, dass ihre Beziehung phantastisch blieb, über den Tag sprechen, sich für die Arbeit des anderen interessieren, für das, was passiert war, da sollten sie teilnehmen an den Gedanken des anderen. Und dann am besten noch die Kraft aufbringen, leidenschaftlich miteinander zu schlafen, wenn sie endlich ins Bett fallen durften. So sollte man es laut den Sonntagsbeilagen der Abendzeitungen machen, damit die Ehe hielt. Und außerdem möglichst oft kleine romantische Reisen einplanen und einen Babysitter organisieren, damit man hin und wieder eine ganz besondere Zeit zu zweit erlebte. Mit Goldkante. Wäre ein Sklave verfügbar gewesen, der einkaufen, Glühlampen wechseln und sich in Elterngruppen des Kindergartens engagieren konnte, der kochte, wusch und den Rohrleger anrief und bat, das Leck unter der Spüle zu reparieren, der bügelte, dafür sorgte, dass alle Rechnungen rechtzeitig bezahlt wurden, putzte, alle Briefe öffnete und sich um alle sozialen Kontakte der Familie kümmerte, dann wäre es vielleicht möglich gewesen. Ihr allergrößter Wunsch war, einmal ein ganzes Wochenende lang schlafen zu dürfen. Ungestört. Ausprobieren, ob es irgendeine Möglichkeit gab, die Müdigkeit abzuschütteln, die sie verspürte, diese Müdigkeit, die durch Mark und Bein ging und eine tiefe Sehnsucht mit sich brachte, dass die Dinge sich ohne ihr Zutun erledigten.
    Sie dachte an das Seminar, das die Firma im Herbst angeboten hatte. »Verantwortung für sein Leben übernehmen.« Hinterher war sie ausgefüllt gewesen, es waren so viele Wahrheiten gesagt worden, die so einfach klangen, die sie aber selbst noch nie bedacht hatte.
    In jedem Augenblick entscheide ich mich, ob ich Opfer oder Schöpfer meines eigenen Lebens sein will. Voller Inspiration war sie nach Hause geeilt, um Henrik von dem Erlebnis zu erzählen. Er hatte schweigend dagesessen und zugehört, aber als sie anbot, Karten für den nächsten Vortrag zu besorgen, den der Mann halten würde, zeigte er kein Interesse.
    Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie nur noch sechs Monate zu leben haben?
    Mit dieser Frage hatte er das Seminar eingeleitet.
    Als es zu Ende war, hing sie noch immer unbeantwortet im Raum.
    Bis jetzt hatte sie noch keine Konsequenzen gezogen.
    Auf dem Heimweg machte sie einen Abstecher zur Östermalmshallen, kaufte bei Elmqvist Fisk zwei Hummer und ging dann weiter zum Weinladen auf der Birger Jarlsgatan.
    In der Mittagspause hatte sie die Reise gebucht und dafür gesorgt, dass die Tickets ins Büro geschickt wurden.
    Alles würde wieder gut werden.
    Es war erst halb fünf, als sie nach Hause kam. Axels Jacke lag hinter der Wohnungstür auf dem Boden, und sie hängte sie über den elefantenförmigen Haken, den sie in geeigneter Höhe für ihn angeschraubt hatte.
    Sie hörte Henriks Stimme aus der Küche.
    »Ich muss jetzt Schluss machen. Ich versuche, etwas später wieder anzurufen.«
    Sie zog ihren Mantel aus, versteckte die Tüten mit den Hummern und dem Champagner in der Garderobe und ging die Treppe hinauf.
    Er saß am Küchentisch und las die Dagens Nyheter. Neben ihm lag das schnurlose Telefon.
    »Hallo.«
    »Hallo.«
    Sein Blick blieb auf die Druckerschwärze gerichtet. Sie schloss die Augen. Warum konnte er es nicht wenigstens versuchen? Warum überließ er immer ihr die Verantwortung?
    Sie versuchte, ihre Verärgerung zur Seite zu schieben.
    »Ich bin heute etwas früher nach Hause gegangen.«
    Er hob den Kopf und warf einen Blick auf die Leuchtziffern an der Mikrowelle.
    »Das sehe ich.«
    »Ich habe mir gedacht, ich kutschiere Axel schnell zu meinen Eltern und lasse ihn dort übernachten.«
    Diesmal sah er zu ihr auf. Ein kurzer, scheuer Blick.
    »Aha. Warum das?«
    Sie versuchte zu lächeln.
    »Das sage ich nicht. Du wirst schon sehen.«
    Für einen kurzen Augenblick hatte sie beinahe den Eindruck, dass er Angst bekam.
    »Axel!«
    »Ich muss heute Abend arbeiten.«
    »Axel! Willst du heute Nacht bei Oma und Opa schlafen?«
    Eilige Füße kamen aus dem Wohnzimmer getrappelt.
    »Ja!«
    »Na komm, dann gehen wir packen.«
    Die vertraute Autofahrt hinaus nach Saltsjöbaden dauerte bloß eine Viertelstunde. Axel saß still und erwartungsvoll auf dem Rücksitz, und

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