Der Seitensprung
angehen, wusste nie, wann er explodieren würde. Und warum.
Der Zwang zog sich zurück. Die Angst vor dem, was ihn in der Küche erwartete, gewann die Oberhand. Er zog seine Jacke aus und legte sie auf einen Stuhl, alles war wieder still, langsam bewegte er sich auf die Küche zu.
Sie saß am Tisch.
Er lehnte mit einem Glas in der Hand an der Spüle. Dass Wasser und Schnaps so ähnlich aussehen konnten. Auf dem Küchentisch vor ihr lag ein weißes Oberhemd.
Sie wandte den Kopf und schaute ihn an, als er hereinkam. Der Ausdruck in ihrem Gesicht entsetzte ihn. Er wollte zu ihr laufen und sie in den Arm nehmen, sie trösten, sie beschützen. Seinen Kopf auf ihren Schoß legen, wie er es getan hatte, als er klein war, und sie mit der Hand über sein Haar streichen und sagen sollte, dass alles wieder gut werden würde. So viele Male hatten sie beieinander Trost gesucht, zusammengeschweißt gegen, den unberechenbaren Wochenendzorn des Vaters.
Er sah seinen Vater an. Er hatte diese Augen, die er immer bekam, wenn er getrunken hatte. Wenn man wusste, dass er ein Fremder war.
Er nahm einen Schluck aus dem Glas.
»Mama hat ein Hemd mit ein bisschen Lippenstift drauf gefunden. Deswegen ist sie so sauer.«
Sie hatte es erfahren. Mitten in all der Besorgnis über ihre Reaktion erfüllten ihn die Worte mit Erleichterung. Endlich musste sein Vater alles zugeben. Er selbst würde von der Verantwortung befreit werden, seine Mutter zu schützen, war all der Ausflüchte und Lügen entledigt, die sich zwischen sie gelegt hatten. Endlich gehörte er wieder ihr, ganz und gar, konnte auf ihrer Seite stehen. Wie er es immer getan hatte.
Sein Vater stellte das Glas mit einem Knall auf die Arbeitsplatte und wandte sich dem Rücken zu, der am Küchentisch saß.
»Was soll ich denn deiner Ansicht nach machen? He? Du lässt ja nie locker! Läufst hier rum, siehst aus wie ein beschissener Putzlappen und beklagst dich, dass das Geld nie reicht, dass wir nie in den Urlaub fahren oder uns was leisten können. Du musst wohl vor die Tür gehen und selbst arbeiten, wenn es dir nicht reicht.«
Jonas sah wieder seine Mutter an und traute sich jetzt, zu ihr zu gehen. Er legte seine Hand auf ihre Schulter, und sie griff danach.
Dann guckte er seinen Vater an. Du Schwein! Wir brauchen dich nicht mehr. Das haben wir nie getan. Er konnte die Veränderung in den Augen sehen, die im Gesicht des Mannes steckten, der wie sein Vater aussah und doch ein Fremder war. Im nächsten Augenblick zerbarst das Glas, aus dem er getrunken hatte, an den Kacheln über dem Herd auf der anderen Seite der Küche.
»Du scheinheiliges Miststück! Stehst da und tröstest sie, als wenn du nichts gewusst hättest.«
Es vergingen einige Sekunden, dann ließ seine Mutter seine Hand los.
»Wenn du wüsstest, wie er sich ins Zeug gelegt hat, damit du nichts erfährst. Der lügt besser als ein Bürstenbinder, keine Ahnung, wo er das herhat. Vermutlich von dir, in deiner Familie waren sie ja immer so verlogen.«
Sein Vater machte unbarmherzig weiter.
»Willst du nicht auspacken? Erzähl mal, wie beliebt ich bin. Dass die Frauen, außer ihr da, zu allem bereit sind, damit ich sie flachlege. Die mit dem Lippenstift hast du ja sogar kennen gelernt. Da hast du es ja mit eigenen Augen gesehen.«
Zwei Wochen zuvor. Er durfte mitfahren nach Söderhamn. Man hatte ihm angeboten, sich ein bisschen Geld dazuzuverdienen, indem er beim Aufräumen auf einer Baustelle behilflich war, wo sein Vater die Rohre verlegt hatte. Er war froh gewesen, als sie abfuhren, froh, dass sie zwei Tage zusammen verbringen würden, vielleicht bekäme er die Gelegenheit, mit seinem Vater zu besprechen, wie er sich fühlte, dass er die Lügen nicht mehr ertragen konnte. Er hatte den ganzen Tag auf einen günstigen Moment gewartet, ohne dass einer gekommen wäre, hatte gedacht, am Abend nach dem Essen, da würde sich eine Gelegenheit bieten. Sie saß schon im Speisesaal, als die beiden eintrafen, und bevor sie aufgegessen hatten, bat sein Vater sie, zu ihnen an den Tisch zu kommen. Immer mehr Bier wurde bestellt. Schweigend vor Scham über das immer lächerlicher werdende Benehmen seines Vaters saß Jonas da. Eine Weile später gab er Jonas ein paar Hunderter und schickte ihn in die Stadt. Erst gegen drei Uhr nachts hatte er sich zurückgewagt, wollte schlafen, todmüde nach der Arbeit des Tages. Am Morgen darauf mussten sie um sieben aufstehen und weiterarbeiten. Sie war noch immer im Hotelzimmer. Ihre
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