Der Seitensprung
drängte den Schmerz zurück, den seine Nähe verursachte. Er war das Einzige, was sie verletzbar machte, und kein Platz war jetzt für Schwäche. Irgendwie musste sie sich gegen die Gefühle zur Wehr setzen, die er in ihr weckte. Sich abschirmen. Wenn sie sich gestattete nachzugeben, war sie verloren, ein Opfer, die arme verschmähte Mutter von Axel, die die Kontrolle über ihr Leben verloren hatte. Irgendwann in der Zukunft würde er verstehen, dass sie es für ihn getan hatte. Dass sie diejenige war, die Verantwortung übernahm und ihn zu schützen versuchte, im Gegensatz zu seinem Vater.
»Axel, wach jetzt auf. Wir müssen zum Kindergarten.«
Sie waren ein wenig spät dran, genau wie geplant. Alle Kinder saßen bereits im Spielzimmer auf dem Fußboden und warteten auf den Morgenkreis, und alle Eltern waren bereits zu ihren Arbeitsstellen davongeeilt. Axel hängte seine Jacke an den Haken, und im selben Augenblick kam Linda mit der Obstschale in der Hand aus der Küche.
»Hallo, Axel.«
»Hallo.«
Ein kurzes Lächeln in ihre Richtung, und schon ruhte der Blick wieder auf Axel.
»Komm, Axel, wir gehen hinein. Der Morgenkreis fängt gleich an.«
In ihr herrschte Ruhe. Der Hass war beinahe genussvoll. Ihre ganze Kraft war konzentriert, und sie selbst war ohne Schuld. Nichts von alldem hätte geschehen müssen, die beiden anderen zwangen sie dazu. Sonderbar, wie ein Paar Ohrringe in der eigenen Dusche die Sinne schärfen können.
Die Worte zu Speerspitzen gewetzt.
»Linda, hast du eine Sekunde Zeit? Ich muss dir etwas sagen.«
Sie sah einen Hauch von Angst in den Augen der anderen Frau und kostete ihre Macht aus.
»Ja, klar.«
»Geh hinein, Axel, und setz dich schon mal hin, ich komm dann ans Fenster und winke.«
Er tat, was sie gesagt hatte. Vielleicht spürte er ihre Zielstrebigkeit. Er verschwand im Spielzimmer, und sie wandte sich wieder Linda zu, betrachtete sie eine Weile und war sich der Unruhe bewusst, die ihr Schweigen erzeugte. Linda stand ganz still. Nur die Obstschale in ihren Händen zitterte.
»Tja, es ist so, es fällt mir etwas schwer, darüber zu reden, aber ... Axel zuliebe möchte ich es trotzdem tun.«
Wieder verstummte sie und genoss das Machtgefühl.
»Es ist so ..., bei uns zu Hause läuft es im Moment nicht so gut, bei Henrik und mir, und ich dachte, es wäre vielleicht gut, wenn du davon weißt, wegen Axel, meine ich. Ich weiß nicht, wie viel er mitbekommt, aber ... ich weiß zumindest, wie sehr er an dir hängt, und vielleicht wird er das eine Zeit lang noch stärker tun, bis wir die Sache geklärt haben.«
Lindas Augen suchten den Raum in der Hoffnung ab, auf etwas zu treffen, an das sie den Blick heften konnten.
»Aha.«
Aha, und ich dachte, mit dir kann man so gut reden.
»Ich wollte es nur erzählen, Axel zuliebe.«
»Klar. Natürlich.«
Sie standen regungslos da. Es war offensichtlich, dass Linda am liebsten davongerannt wäre. Vielleicht hatten die beiden sich auf diese Weise gefunden. Hatten gemerkt, dass sie dieselbe irrsinnige Feigheit teilten, immer vor allem fliehen zu wollen, was im Entferntesten an ein Gespräch erinnerte.
Eva hielt sie mit ihrem Blick fest.
»Einen hübschen Pulli hast du an.«
Linda sah auf ihren Pullover hinunter, als hätte sie ihn noch nie gesehen.
»Danke.«
Tja, kleine Linda. Nun hast du etwas, worüber du nachdenken kannst.
»Sagst du Axel, dass ich am Fenster winke?«
»Klar.«
»Und danke fürs Zuhören.«
Sie lächelte und legte Linda vertraulich die Hand auf den Unterarm.
»Es ist wirklich ein schönes Gefühl, es dir erzählt zu haben. Ich bin sicher, dass alles wieder in Ordnung kommen wird. Es geht ja in allen Ehen hin und wieder auf und ab.«
Sie lächelte, und vielleicht war es auch das, was Linda versuchte.
»Wir holen ihn wie immer um vier.«
Sie ließ ihre Hand einen Tick zu lange liegen, bevor sie sich umdrehte und ging.
Er war noch immer nicht aufgewacht, als sie nach Hause kam, die Tür zum Schlafzimmer war geschlossen. Sie ging weiter in die Küche und setzte Kaffee auf. Vom Handy aus hatte sie in der Firma angerufen. Sie hätte sich eine schwere Grippe geholt, der Arzt habe sie krankgeschrieben, und es wäre wohl das Beste, wenn Håkan für eine Weile ihren Auftrag übernähme.
Sie nahm das Frühstückstablett mit den Beinchen, das sie von Cissi und Janne zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Es steckte noch immer in der Originalverpackung und war bislang nur an vereinzelten Geburtstagen benutzt
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