Der Seitensprung
Versuch, seinen Ernst scherzhaft zu vertreiben, machte sie eine abwehrende Geste.
»Ich finde, die sehen alle ganz lebendig aus. Zumindest bewegen sie sich.«
Ein Anflug von Verärgerung. Eine Falte zwischen seinen dunklen Augenbrauen.
»Machen Sie sich ruhig lustig, wenn Sie wollen, aber ich meine es ernst. Es sollte ein Kompliment sein. Ihre Augen wirken ein bisschen traurig, aber man sieht, dass Sie ein Herz haben, das wirklich zu lieben versteht.«
Seine Worte brachen ein in ihre beruhigende Entspannt-heit.
Ein Herz, das wirklich zu lieben versteht. Ha!
Ihr Herz war so schwarz wie ein Keller ohne Fenster. Keine Liebe würde darin je wieder überleben können. Und doch stand sie genau in diesem Moment in einer Bar in Gamla Stan, und bei ihr war dieser Jonas, der sich ausdrückte wie ein Dichter minderer Güte und zehn Jahre jünger war als sie und sie mit einem Begehren ansah, das sie noch nie erlebt hatte. Eine plötzliche Sehnsucht danach, von ihm berührt zu werden, die Beherrschung zu verlieren und all die Begierde hervorzulocken, die sie in seinen Augen erkennen konnte. Beweisen, dass er ihr nicht widerstehen konnte. Dass sie es wert war, geliebt zu werden.
Der Rausch verlieh ihr den Mut, den sie brauchte.
Sie fing seinen Blick auf, bevor sie ihre Hand auf seine legte.
»Ist es weit bis zu dir nach Hause?«
ER LAG GANZ still da, unfähig, sich zu bewegen, wie gespalten in zwei Teile. Die eine Hälfte erfüllt von einer Befriedigung und einer Erwartung, die er nicht für möglich gehalten hatte. Alles, was er sich je erträumt hatte.
Zehn Stunden zuvor hatte er nicht einmal geahnt, dass sie existierte, und nun, in der kurzen Zeit, seit der er sie kannte, hatte sie ihm alles gegeben, was er je begehrt hatte. Zitternd hatte sie sich ihm hingegeben, hatte ihm ihre empfindlichsten Stellen angeboten. Das Zutrauen, das sie ihm erwies, hatte seine Sinne weit geöffnet, alles war Zärtlichkeit, eine Explosion, als die Einsamkeit zerbarst. Und dann die Ruhe, die sie schaffte. Ihre Hände auf seiner nackten Haut bedeckten ihn mit einer schützenden Hülle, reinigten ihn. All die Sehnsucht, die ihn so lange gequält hatte, hatte sich explosionsartig befreit und war auf sie übergegangen. Die Leere war weg.
Doch dann die vernichtende Gewissheit, dass er nicht so empfinden durfte.
Die andere Hälfte war schuld.
Nun war es bewiesen. Er hatte sich auf geradem Weg in einen Betrüger verwandelt, in jemanden, der andere im Stich ließ. Anna hatte einsam dagelegen, während er sich einer anderen Frau hingab. All die Lust herausgelassen hatte, die er so lange für sie aufgespart hatte. Die sie hätte haben sollen.
Er war nicht besser als sein Vater.
Als er aufwachte, war sie fort. Nur ein braunes Haar auf dem Kissen bewies, dass sie wirklich hier gewesen war. Das Haar und sein gestillter Hunger nach Haut.
Kein Wort hatten sie zueinander gesagt. Ihre Hände und Körper hatten alles erzählt, was sie wissen mussten.
Er setzte sich auf und wurde sich der Kälte im Zimmer bewusst. Er hatte vergessen, die Heizung aufzudrehen, als sie in die Wohnung kamen. Was, wenn sie gefroren hatte? Er stellte die Regler im Zimmer und in der Küche auf die höchste Stufe und ging ins Bad. Das Licht war eingeschaltet, und das blau gestreifte Handtuch lag auf dem Fußboden. Er verspürte einen kleinen Stich von Widerwillen, aber der konnte ihm nichts anhaben. Ihre Berührung umgab ihn wie ein Schutz, ein undurchdringbarer Panzer, er konnte ihn nicht mehr angreifen.
Er hängte das Handtuch auf und drehte den Hahn an der Badewanne auf, wartete, bis sie halb voll war, und stieg hinein. So viele Jahre lang hatte er sich selbst verboten nachzugeben. Nun konnte er dem Trieb nicht widerstehen, nicht einmal jetzt, als sie gerade bei ihm gewesen war. Was hatte sie da in ihm zum Leben erweckt? Er setzte sich hin und lehnte sich zurück. Die Erinnerung an ihre Nacktheit als lebenslanges Geschenk. Er konnte sie vor sich sehen. Wie sie die Augen geschlossen und sich dem Genuss hingegeben hatte, den er ihr schenkte.
Ihre Hände. Ihre Lippen. Ihr Geschmack. Ihre Haut an seiner, vereint, kein Anfang und kein Ende.
Wie hätte er ihr widerstehen sollen? Sie war alles, wovon er geträumt hatte. Eine lebendige Frau, die ihn begehrte, ihn anfassen, ihn lieben wollte. Die ihm zu einer Lust verhalf, die er nicht für möglich gehalten hätte. Welcher teuflische Gott konnte von ihm verlangen, dass er hätte nein sagen sollen.
Er stand auf, stieg aus
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